Neues Outfit statt Zukunft

Jaromir Simon wundert sich über die Prioritäten der Berliner Jugendlichen. Foto: privat

Von Jaromir Simon, 19 Jahre


Hunderte Berliner Jugendliche gingen am Sonntag vor einer Woche auf die Straße. Wie eine unkontrollierbare Masse bewegten sie sich vom Bahnhof Friedrichstraße Richtung Norden. Es gab Geschrei, Gedrängel, Wut, die Bereitschaft, einen Ausnahmezustand herbeizuführen. Bei Schilderung dieses Ereignisses muss man sofort an die Jugendproteste in Madrid, Paris und Athen denken. Doch, nein, der Funke der europäischen Jugendbewegung ist immer noch nicht auf Deutschland übergesprungen. Bei uns hat ein Klamotten-Ausverkauf die Jugend-lichen mobilisiert.


Ein schwedisches Modelabel hatte zu einem Vintage Sale eingeladen, auf dem man zu Flohmarktpreisen Kleidungsstücke ergattern konnte. Etwa 3 000 Besucher hatten sich über Facebook angemeldet, das hat den Veranstalter jedoch nicht dazu bewegt, auch nur eine Sicherheitsperson für den Eingang zu engagieren. Und so stürmten die Jugendlichen das viel zu kleine Geschäft, prügelten sich um die Jeans, warfen Schränke um und trugen Unmengen an Klamotten aus dem Geschäft – auch ohne zu bezahlen. „Verdammt, ich glaube, meine Hand ist gebrochen“, konnte man irgendwo in der Masse hören. Eine halbe Stunde nach Beginn endete das Spektakel. Polizei und Notarzt kamen, die Türen wurden für den restlichen Tag geschlossen, eine Stellungnahme der Kette erschien im Internet. Flohmarktatmosphäre ade! Nein, Tote gab es nicht, das Resultat dieser halben Stunde waren jedoch Verletzte, Sachschäden und Diebstähle.


Nun haben Gesänge auf die verkommene Jugend noch nie weitergeholfen. Vergleiche der konsumgeilen Berliner Jugend mit den jungen Leuten in anderen Ländern, die gegen ihre Perspektivlosigkeit kämpfen, sind unfair. Für beide. Denn sie haben nichts miteinander zu tun. Gut aussehen, und das auch noch möglichst günstig, will jeder. Doch es gibt Grenzen. Dass die Berliner Jugend ausgerechnet beim Shopping bereit ist, sie zu übertreten, sich aber nicht durchringen kann, gegen die profitgierige Wirtschaft und die eigene Perspektivlosigkeit zu protestieren, ist schade. Das ist keine Rüge, das ist ein Appell.



Glaubt ihr, dass die Wut, die Jugendliche in vielen Ländern der Welt auf die Straße treibt, auch bald in Deutschland zu spüren sein wird? Diskutiert mit uns!

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Kategorien Politik

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