Liebe Jugendredaktion,
nach einem Monat in New York bin ich zerrüttet. Andauernd tagt diese unerträgliche Uno-Vollversammlung. Wenn ihr mich fragt, sitzen da nur Schwätzer. Weil mich das so aufregt, bin ich vom vielen Brüllen schon ganz heiser. Heute, einen Tag vor meiner Rückreise nach Moskau, ist mir endgültig der Kragen geplatzt. Ein philippinischer Delegierter behauptete, die Sowjetunion unterdrücke die Völker Osteuropas. Da es hier ja nicht erlaubt ist, handfeste Schlagwaffen mitzubringen, habe ich eben meinen Schuh ausgezogen, um diesen Lakaien des Imperialismus zur Raison zu bringen. Am liebsten hätte ich ihn damit verdroschen, aber ich wusste ja, dass es bei der Uno nicht gestattet ist, Probleme wie richtige Männer zu lösen. Deshalb habe ich mich von vornherein mit der drohenden Geste zufrieden gegeben. Obwohl die 15. Uno-Vollversammlung für mich also kein besonders angenehmes Ende gefunden hat, bleibt mir doch ein Trost: Gerüchten zufolge wollen sowohl die Washington Post als auch die New York Times morgen berichten, dass ich mit meinem Schuh auf das Pult geschlagen hätte. Weil es davon aber keine Fotos gibt und ich selbst mich hüten werde, zu verraten, ob ich meinen Schuh nun nur ausgezogen und auf den Tisch gestellt, oder damit auf meinen Tisch oder gar auf das Rednerpult geschlagen habe, werden sich Historiker eines Tages noch die Zähne an dieser Frage ausbeißen. Ha.
Euer Nikita Sergejewitsch
Diese Postkarte fand Jugendreporter Vivian Yurdakul, 20 Jahre, als er während seiner ersten großen USA-Reise auf den Maisfeldern im Bundesstaat New York verloren ging. Chruschtschow, der bekanntlich von amerikanischen Maiskolben derart beeindruckt war, dass er eine Landwirtschaftsreform im eigenen Land anstrebte, muss sie dort verlorenhaben, bevor er Gelegenheit fand, sie abzuschicken.