Bevor es kriminell wird

Stephan Voß ist Leiter der Geschäftsstelle der Landeskommission Berlin gegen Gewalt. Foto: privat

Sind Jugendliche mit Migrationshintergrund wirklich gefährlich, wie die Kanzlerin meinte? Gespräch mit einem Experten


Herr Voß, in ihrer wöchentlichen Videobotschaft sagte die Kanzlerin, dass von jugendlichen Migranten eine besondere Gefährdung der inneren Sicherheit ausgehe. Sind Jugendliche mit Migrationshintergrund tatsächlich krimineller als Jugendliche mit deutschen Wurzeln?


Rein statistisch begehen jugendliche Migranten im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung mehr Straf- und Gewalttaten als ihre deutschen Altersgenossen. Wichtig ist jedoch auch die Feststellung, dass der bei Weitem größte Teil dieser jungen Menschen polizeilich gar nicht registriert wird.


Woran liegen die höheren Zahlen?


Da spielt ein Bündel von Ursachen eine Rolle, vor allem sind es soziale Faktoren, die mit den speziellen Lebenslagen der Jugendlichen und ihrer Familien zu tun haben. Auch migrationsbedingte und kulturelle Faktoren können sich auf die Gewaltbereitschaft auswirken. In manchen Kulturkreisen spielt beispielsweise die Orientierung an Männlichkeitsbildern, die Gewalt legitimieren, eine große Rolle. Dies kann bei den Jugendlichen leicht zu einer Affinität zu gleichaltrigen gewaltbereiten Gruppen führen.


Die Kriminalität der Ausländer mit höherem sozialen Status ist verglichen mit Deutschen aus ähnlichen Verhältnissen niedriger. Auch das ist ein Ergebnis aus der Kriminalstatistik. Heißt Gewaltprävention dann nicht vor allem Bildungsförderung?


Sicherlich. Dies fängt schon mit dem Erwerb der deutschen Sprache an. Sehr deutlich muss zudem gemacht werden, wie wichtig die Investition in frühkindliche Bildung und Erziehung ist. Hierzu gehört es auch, die Erziehungskompetenzen der Eltern zu stärken.


Also muss man ganz und gar nicht „akzeptieren, dass die Zahl der Straftaten bei jugendlichen Migranten besonders hoch ist“, wie die Kanzlerin meinte, sondern dafür sorgen, dass Migranten nicht den größten Teil der unteren sozialen Schicht stellen. Was muss sich in der Gesellschaft ändern, damit die Zahl der kriminellen Jugendlichen  insgesamt zurückgeht?


Wichtig ist, dass wir uns bewusst machen, wie entscheidend präventives Handeln für den Erfolg ist. Reaktives Handeln, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, reicht nicht aus. Die Probleme der Kinder und Jugendlichen treten meist schon in der Kita, in der Grundschule oder beim Wechsel in die Oberschule auf. In dieser Phase ist verantwortungsvolles Handeln von Schule, Jugendhilfe und Eltern gefragt. Dies geschieht dann an einem Punkt, an dem Kriminalität noch gar keine Rolle spielt.


Das Gespräch führte Lisa Opolka, 15 Jahre

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Kategorien Politik

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