Die schwarze Perücke verwandelt Mathestudentin Sonia in die Prostituierte Mascha. Foto: Promo

„Die Prostitution ist Teil ihrer Selbstfindung“: Interview mit „Fucking Berlin“-Hauptdarstellerin Svenja Jung

Sonia, gespielt von Svenja Jung, ist jung, klug und hübsch. Frisch nach Berlin gezogen, kann sie mit all den neuen Freiheiten nicht umgehen. Tagsüber brav in der Vorlesung, zieht es sie nachts in die wildesten Clubs der Großstadt. Schon bald verliert sie sich im Rhythmus Berlins, trinkt viel und wacht jeden Tag neben einem anderen Mann auf. Dann trifft sie auf ihren Seelenverwandten, der direkt bei ihr einzieht. So wunderbar Ladja zunächst erscheint, offenbart auch er bald seine Schattenseiten. Mit Vollgas rutscht Sonia auf die schiefe Bahn und beginnt sich zu prostituieren, um exzessiven Lebensstil und die Rechnungen bezahlen zu können. Als Mascha strippt sie vor der Webcam, kommt in der „Oase“ jedem Fetisch ihrer Freier nach und stürzt in ein chaotisches Leben zwischen zwei Welten. Am Donnerstag feiert „Fucking Berlin“ Release. Wir sprachen mit Hauptdarstellerin Svenja Jung.

Was hast du als erstes gedacht, als du das Drehbuch zu „Fucking Berlin“ gelesen hast?
Ich mochte Sonia von Anfang an. Natürlich habe ich mich gefragt, warum sie sich prostituiert und sich nicht einen anderen Nebenjob in Berlin gesucht hat. Spannend war für mich zu lernen, sie zu verstehen. In meinen Augen geht es nicht vorwiegend um Prostitution, sondern um eine junge Frau die sich in Berlin verliert und auf der Suche nach Halt und Liebe ist.

Am Anfang des Film raucht Sonja das erste Mal im Leben einen Joint, am Ende arbeitet sie als Prostituierte. Kannst du dich irgendwie mit ihr identifizieren?
Ja, in gewisser Weise identifiziert und verändert man sich als Schauspieler mit jeder Rolle die einen eine Weile begleitet. Wir haben „Fucking Berlin“ über ein Jahr gedreht, da hatte ich viel Zeit, Sonia näherzukommen. Sie ist eine Freundin von mir geworden und ich habe gelernt, sie zu verstehen. Für Sonia ist die Prostitution ein Teil ihrer Selbstfindung. Sie kommt alleine nach Berlin, ist mit der Stadt überfordert und verliert sich. Den ganzen Film über sucht sie nach ihrem Beat, auf der einen Seite bei Männern wie Ladja und Milan und auf der anderen Seite in der Oase. Dort scheint sie schließlich anzukommen, eine Familie in den Frauen gefunden zu haben und fühlt sich zum ersten Mal zuhause.

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Kanntest du das Buch von Sonia Rossi, auf dem der Film basiert?
Nein, ich kannte das Buch nicht, habe es mir dann aber vor dem Casting gekauft und an einem Tag gelesen.

Wie hast du dich auf die Rolle vorbereitet?
„Sonia Rossi“ lebt ja noch in Berlin und ich habe mich zur Vorbereitung und während des Drehs mit ihr getroffen, sogar ihre Familie kennengelernt. Außerdem habe ich mehrere Biografien von jungen Frauen gelesen, um zu verstehen, wie sie zur Prostitution gekommen sind. „Sonia Rossi“ ist ja kein Einzelfall. Besonders inspiriert hat mich der französische Film „Jung & Schön“ von Francois Ozon. Da geht es ebenfalls um eine junge Frau, wunderbar gespielt von Marine Vacth, die aus einem guten Elternhaus kommt und eines Tages beschließt, sich zu prostituieren. Der Film wertet die Entscheidung, sich für die Phantasien von Männern zu verkaufen, nicht. Er ist verwirrend, rätselhaft und sehr sinnlich inszeniert. Auch „Fucking Berlin“ soll nicht werten, sondern eine junge Frau auf dem Weg ihrer Selbstfindung zeigen, die manchmal gar nicht weiß, wie ihr geschieht.

Nacktszenen, Sexszenen, große Emotionen – wie schwer ist es dir gefallen, so viel von dir zu zeigen? Wird das mit jeder Szene leichter? Wobei hattest du die größten Hemmungen?
Ich mag meinen Körper und wenn Nacktheit für die Rolle Sinn macht und sie unterstützt, habe ich damit kein Problem. Natürlich sind das sehr sensible Momente und mir war es wichtig, dass wir nur mit einem „Closed set“ arbeiten. Das bedeutet, nur ein kleines Team ist vor Ort, alle anderen Monitore werden ausgeschaltet. Bei Florian (Regie) war ich in guten Händen. Einen Tag lang haben wir nur Sexszenen in der „Oase“ gedreht, davor hatte ich auf jedenfall Respekt. Aber es war dann letztendlich ganz locker und sehr technisch. Als Schauspieler macht man sich auch emotional nackt, das tut in manchen Szenen sehr weh, aber nur so ist es echt und schenkt meiner Rolle dadurch ihre Authentizität.

Als Prostituierte muss Sonja die verschiedenen Fetische ihrer Freier bedienen. Wie war der Dreh dieser Szenen für dich?
Haha. Naja, das war eigentlich sehr lustig. Ich habe erst mal die Szenen im Drehbuch gelesen und dachte: „Oha, wie wollen die das denn machen, und ist das nicht ein bisschen zu krass?“ Beim Drehen haben wir dann aber sehr viel gelacht.

Am Anfang des Films erfährt Sonja, dass ihr Freund sich früher prostituiert hat. Für sie stellt das ein großes Problem dar, obwohl sie selbst mit diversen Männern geschlafen hat. Wieso macht sie da solche Unterschiede?
Sie fängt zu diesem Zeitpunkt an Ladja zu lieben und will ihn nur beschützen. Nachdem sie erfährt, dass er als Stricher gearbeitet hat, ist sie mit der Situation überfordert. Die Beziehung zu Ladja ist eine ganz andere als zu Milan. Ladja ist eine Art Kind für sie, auf das sie aufpassen muss. Deshalb ist die Vorstellung, dass er sich früher prostituiert hat, umso schlimmer für Sonia.

Für Sonja ist Berlin nicht einfach nur eine Stadt, sondern ein Rhythmus. Siehst du das auch so? Welchen Rhythmus hat Berlin für dich?
Für mich ist Berlin auch eine ganz besondere Stadt. Immer, wenn ich ankomme, am Bahnhof oder am Flughafen habe ich ein Gefühl von unendlicher Freiheit und tausenden Möglichkeiten. Das macht Berlin auf der einen Seite wohl so einzigartig auf der anderen Seite ist man auch schnell alleine. Ich komme von einem kleinen Dorf mit 700 Einwohnern, da war Berlin anfangs auch eine riesige Reizüberflutung für mich und es hat gedauert, bis ich ein Gefühl von „Zuhause“ hatte. Sonia war anfangs ebenfalls überfordert. Plötzlich konnte man jeden Abend was unternehmen, es gibt tausende Veranstaltungen und so viele Möglichkeiten, damit musste auch ich erst mal zurechtkommen. Meine Familie lebt nicht hier, ich bin mit 19 alleine nach Berlin gekommen und kannte vielleicht drei Leute. Da liegt wohl die Gemeinsamkeit zwischen mir und Sonia.

Die schwarze Perücke verwandelt Mathestudentin Sonia in die Prostituierte Mascha. Foto: Promo
Die schwarze Perücke verwandelt Mathestudentin Sonia in die Prostituierte Mascha. Foto: Promo

Sonja sammelt die Zahnbürsten ihrer One-Night-Stands. Hast du auch komische Ticks?
Ich knabbere ständig an meinen Fingernägeln, wenn das auch zählt 😀

Im Film fällt immer wieder die Aussage: „Man kann sich nur lieben, wenn man sich kennt.“ Denkst du auch so? Wie sähe eine solche Beziehung aus – muss man erst lange befreundet sein, um eine gute Beziehung führen zu können?
Ja, darüber habe ich mir auch länger Gedanken gemacht. „Du kannst nichts lieben, was du nicht kennst.“ Da ist erst mal die Frage, um welche Art von Liebe es sich handelt. Wenn mir jemand von einem tollen Ort erzählt, an dem ich noch nie war, kann ich mir in meiner Phantasie und mit Bildern trotzdem ausmalen, wie es dort sein wird und anfangen, diesen Ort oder dieses Land zu lieben. Das ist bei mir zum Beispiel bei Island und Neuseeland so. Oder eine Mutter, die ihr Kind im Bauch hat. Sie kennt es nicht, aber sie liebt es, sobald sie von der Schwangerschaft erfährt. Ich glaube auch an „Liebe auf den ersten Blick“. Das ist ein Gefühl, das ich nicht beschreiben kann, aber du weißt einfach, dass diese Person etwas mit dir macht. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen schwärmen/verknallt sein und Liebe. Ich denke, dass du mit der Zeit erst lernst, deinen Partner wirklich zu Liebe und dafür muss man sich kennenlernen.

Das Filmende ist offen, bevor der weitere Lebensweg von Sonia Rossi textlich eingeblendet wird. Wenn du die Geschichte genau an dem Punkt weitererzählen könntest, wo der Film endet – wie würde Sonjas Lebens weitergehen.
Sonia nimmt noch einen Schluck aus der Tütenmilch und überlegt sich dann einen Namen für ihr Baby. Jule ruft an und die beiden vertragen sich wieder. In meiner Welt käme dann Ladja eines Tages auch verändert zurück nach Berlin und würde um Sonias Hand anhalten. Ich weiß, sehr kitschig, aber ich liebe Happy Ends einfach.

Heimkinostart von „Fucking Berlin“ ist der 6.10.2016. Mehr Infos unter https://www.facebook.com/fckngberlin/

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Kategorien Film & Fernsehen Medien

90er-Kid, Bücherwurm, Weltenbummler. Ich liebe Musik und das geschriebene Wort. Letzteres kann man von mir seit 2012 hier lesen. Meine große Leidenschaft gilt dem Theater, das mich mehr als alles andere fasziniert. Wenn ich durch die Straßen Berlins laufe, kommt mir das Leben vor wie eine Aneinanderreihung vieler kleiner Inszenierungen, deren Geschichten alle festgehalten werden wollen. So inspiriert mich unsere Hauptstadt stetig zu neuen Themen für unsere Seite.