Antilopen Gang
Kein Abbruch: Während Deutschrap-Tracks aktuell gerne nur rund zwei Minuten lang sind, ­nähern sich die Antilopen mit ihren Songs selbstbewusst der Fünfminutengrenze.
Interview

Antilopen Gang: „Wir sind unsere eigene Deppenecke im Rap“

Für ihr drittes Album hat sich die Antilopen Gang so viel Zeit genommen wie nie zuvor. Entstanden ist eine Rap-Platte, die genau so sei, wie sie sie immer wollten. Keine Deluxe-Box, kein Ballast, nur Musik. Pushen wollen sie es trotzdem nicht, wie sie im Spreewild-Interview verraten. Und auch, warum „Die PARTEI“ sie unpolitisch gemacht hat, warum sie nur von Deppen umgeben sind, warum ihr Label mega ist und was 2013 mit ihnen gemacht hat.

Von Rosina Link, 15 Jahre

Warum heißt eure neue Platte „Abbruch, Abbruch“? Klingt so final.

Danger Dan: Nein. Das Gefühl, dass das einfach ein guter Titel ist, war da, bevor es Begründungen gab.
Koljah: Wie es so ist, hatten wir verschiedene Ideen. Erst gab es „Abbruch-Stimmung“ als Gegenteil von „Aufbruch-Stimmung“, aber das war kein guter Titel. Dann meinte Daniel: „Wie wäre es denn mit ,Abbruch, Abbruch‘? Das rufen sie doch in Filmen immer, wenn was schiefgeht.“
Danger Dan: Dann haben wir gebrainstormt, was das alles bedeuten kann. Der Name gefiel uns dann immer besser. Jetzt kann man eine riesige Geschichte dazu spinnen: „Abbruch, Abbruch“ – die Negation der Negation … „Abbruch, Abbruch“ – die einzig mögliche Panikreaktion auf die bestehenden Verhältnisse …

Der erste Song heißt „2013“. Das war ein einschneidendes Jahr für euch.

Danger Dan: Absolut. Wir brauchten eine gewisse Distanz, um über so ein Jahr noch mal zu sprechen. Die Tragweite von dem, was passiert ist, ist riesig. Und es ist viel passiert, wie Jakobs Tod (Anm. d. Red.: Jakob Wich gründete 2009 mit Koljah, Panik Panzer und Danger Dan die Antilopen Gang und war bis zu seinem Tod Mitglied). Ich glaube, wir können alle sagen, dass es irgendwie in unserem Leben eine Zeit vor und eine Zeit nach 2013 gibt. Man braucht ein bisschen die zeitliche und emotionale Distanz, um das überhaupt verstehen, fassen und in irgendeiner Form kreativ bearbeiten zu können. Jetzt war es der frühestmögliche Zeitpunkt. Alles, was sonst bei „Abbruch, Abbruch“ angesprochen wird, brennt uns auch seit 2013 auf dem Herzen.

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2017 ist euer letztes Album „Anarchie und Alltag“ erschienen – und kletterte auf Platz 1 der deutschen Albumcharts. Herzlichen Glückwunsch, nochmal! Was habt ihr seither so getrieben?

Koljah: Wir haben ganz viele Konzerte gespielt, besonders 2017. Dann haben wir noch Soloplatten rausgebracht, also Danger Dan und ich zumindest. Dann haben wir wieder Konzerte gespielt. Ich selbst bin auch noch Vater geworden – so nebenbei.
Danger Dan: Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle.
Koljah: Danke, dass ich es von dir auch mal höre! Und wir natürlich extrem viel am Album gewerckelt. auch in diesen ganzen zwei Jahren, also von 2017 bis 2019, am Album gewerkelt.

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Wie hat sich das eigentlich so angefühlt: Platz 1 der Albumcharts?

Danger Dan: Es ist geil, das mal gemacht zu haben. Und es ist auch geil, das nicht mehr machen zu müssen. Es ist nicht so, dass es einen total kalt lässt. Also eine Chartplatzierung ist eine Wertung: Wie viel Umsatz hat das Produkt gemacht? Das ist aber für nichts ein Kriterium. Du kannst Musik nicht danach gut finden, wie viel Geld damit gemacht wird. Das habe ich früher gemacht und dann hat man gesehen, dass das kein Gewinn ist. Es ist trotzdem ein gutes Gefühl zu sagen: Ah, krass. Wir waren auf 1. Das, was wir machen, und auch den Unsinn, den wir manchmal machen, kommt an. Es ist wie ein Orden. Wir haben aber jetzt mit dem neuen Album entschieden, nicht den Weg einzuschlagen, es möglichst zu pushen, wie man es vielleicht machen müsste. Wenn Platz 1 nochmal kommt, ist es cool, aber wir steuern da jetzt nicht hin.

Inwiefern entscheidet sich „Abbruch, Abbruch“ von den Vorgängeralben?

Koljah: Ich finde, jedes Album ist eine Weiterentwicklung des vorherigen. Die Alben selbst, also die Musik, die da drauf ist, entwickelt sich weiter. Ich bin zum jetzigen Zeitpunkt mit dem aktuellen Album so zufrieden wie noch mit keinem vorher. Ich sage aber bewusst „jetziger Zeitpunkt“, weil ich keine Ahnung habe, wie ich das in einem oder einem halben Jahr einschätze. Man denkt irgendwie im besten Falle immer, es ist sehr gut.
Danger Dan: Ich glaube, das haben wir bei jedem Album.
Panik Panzer: Das ist eben auch das Lustige. Man kann es bei Rappern beobachten, dass sie so in jede Probephase reingehen und sagen, dass sei das beste Album, und bestenfalls das alte noch beschimpfen und sagen „ja, das war ja voll der Scheiß, den ich da gemacht habe“ über das, was sie vorher noch so hoch gelobt haben. Aber so entwickelt sich das einfach. Zu unterschiedlichen Zeiten steht man einfach unterschiedlich zur eigenen Kunst. „Abbruch, Abbruch“ ist bis jetzt das beste Antilopen Album…
Danger Dan: … der Welt.

„Rap ist ja wirklich leider Gottes eine riesige Deppenansammlung.“

stellt Panik Panzer fest, wenn er sich so umguckt

In „Bang, Bang“ singt ihr vom ersten Mal und davon, was junge Männer glauben, in so einem Moment abliefern zu müssen. Auch das brannte euch auf dem Herzen?

Danger Dan: Was wir bei „Bang, Bang“ gemacht haben, ist genau das Gegenteil von Ironie. Wir haben einmal erzählt, wie wir solche Situationen wirklich erlebt haben, anstatt es komplett zu überspitzen.
Koljah: Der Song eignet sich gut, um Kritik zu üben, die erst einmal nicht ausformuliert ist, sondern die sich ergibt, wenn man sich Gedanken darüber macht. Wie ist das gesellschaftliche Verhältnis zur Sexualität? Was für eine Idee von Männlichkeit gibt es? Man kann das Lied aber auch einfach nur hören und sich daran erinnern, wie das eigene erste Mal war. Oder du kannst dich darüber lustig machen, weil man es total lächerlich findet. Wir haben keinen Plan, wofür wir dieses Lied machen und was wir damit erreichen wollen. Das Thema liegt uns irgendwie am Herzen, also schreiben wir ein Lied und gucken mal, was passiert, wenn wir es auf die Welt loslassen. In dem Fall bietet es sich an, darüber nachzudenken, warum sich andere Rapsongs so anders anhören, wenn Sex thematisiert wird.

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Apropos: Wie findet ihr deutschen Rap momentan so?

Koljah: Ist alles scheiße.
Danger Dan: Ich finde alles mega geil. (Lachen)
Panik Panzer: Rap ist ja wirklich leider Gottes eine riesige Deppenansammlung. So war es wahrscheinlich schon immer, aber ich nehme das heute stärker wahr als früher. Und das schließt uns ein. Für die sind wir ja auch Deppen. Also alle sind irgendwie Deppen. Und wir gehören da irgendwie rein, aber sind halt unsere eigene Deppenecke im Rap.
Koljah: Unter den Blinden ist der einäugige König, sagt man ja auch.

„Die Partei hat sich als unangenehme Farce herausgestellt.“

sagt Koljah

Wie geht ihr denn eigentlich an ein neues Album ran? Einfach drauflosschreiben?

Panik Panzer: Wir haben diesmal deutlich mehr zusammengesessen, konzipiert, geschrieben und gemacht als bei den Alben davor. „Abbruch, Abbruch“ ist direkt von der ersten Note und vom ersten Wort zusammen entstanden.
Danger Dan: Das Beste entsteht, wenn wir alle in einem Raum sind. Es gibt in Berlin einen Kellerraum, in den wir uns sehr lange eingeschlossen haben, wo man auch schlafen, duschen und essen kann – wie eine kleine Wohnung. Sie ist im Moment der Athanor der Antilopen Gang.

Seid ihr noch politisch aktiv?

Koljah: Seit meinem Austritt aus der Partei „Die Partei“, die sich als unangenehme Farce entpuppte, nicht mehr. Ich habe abgeschlossen mit der Politik. Alles Lug und Trug..

Dann sprechen wir mal über was schöneres. Ihr seid bei JKP unter Vertrag, dem Label der Toten Hosen. Wie ist das so?

Panik Panzer: Nach wie vor eine schöne Sache. Es ist ja kein riesiges Label, wo wahllos Künstler sind, sondern eben eher ein kleines, familiäres Ding. Für alles, was da veröffentlicht wird, stehen die Toten Hosen mit ihrem Namen ein und das heißt: Sie hören sich dann natürlich immer an, was wir da machen und sagen, ob sie Bock haben, das zu veröffentlichen. Es ist einfach cool, dass sie bisher jedes Mal ja gesagt haben.
Danger Dan: Wenn du zu einem großen Majorlabel gehst, kann das auch toll sein und Vorteile haben. Aber dann teilst du deinen Platz mit ganz vielen Idioten. Man muss auch einfach sagen: LKP sind die ersten und einzigen, die irgendwie gepeilt haben, dass wir cool sind. Bei uns verrücktem Haufen dachte sich keiner: „Ach, geil. Damit können wir irgendwie Geld verdienen.“ Dafür brauchst du halt verrückte, andere Leute, die wahnsinnig genug sind zu sagen: „Diesen Idioten geben wir jetzt mal ein Plattenvertrag und gucken mal, was passiert.“ Und das ist damals irgendwie nicht passiert. Also es gab schon ein paar Interessensbekundungen, aber die, die uns am ehesten verstanden haben, und die an uns geglaubt haben, waren JKP. Man hat uns entdeckt. JKP ist unser persönlicher Kolumbus. (lachen)
Koljah: Er dachte halt, dass wir Indien sind. Und dann stellte sich heraus, dass wir Amerika sind. (lachen)

Basic-Infos zu den Antilopen

2009 haben Koljah (Kolja Podkowik), Panik Panzer (Tobias Pongratz), Danger Dan (Daniel Pongratz) und NMZS (Jakob Wich) die Hip-Hop-Band gegründet.

2015 sicherte sich die Hip-Hop-Band den New Music Award, den VIA Award in der Kategorie „Bester Newcomer“ und den begehrten Amadeu Antonio Preis.

2017 erkletterte die Antilopen Gang mit dem Album „Anarchie und Alltag“ Platz eins der deutschen Charts. Es ist der größte Erfolg der Band – bisher.

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Kategorien Interview Kultur Musik

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