„Hip-Hop hat etwas extrem empowerndes“ – Musikjournalistin Lina Burghausen im Interview

Musikjournalistin, Promoterin und DJ Lina Burghausen mischt mit ihrem Blog 365 Female MCs das Rap-Game auf und zeigt, wie lebendig, vielseitig und innovativ die weibliche Rap- und Hip-Hop-Szene ist. Seit 2018 stellt sie – inzwischen unterstützt von einem ehrenamtlichen Team – dort täglich eine neue Künstlerin vor. Für dieses Projekt wurde sie 2019 mit dem International Music Journalism Award ausgezeichnet. Jetzt geht sie mit ihrem ersten eigenen All Female Label 365XX, einem Sub-Label von PIAS Recordings, an den Start.

Lina, wie kam es zu deinem Blog 365 Female MCs?
Eigentlich war es eine Trotzaktion und dann auf einmal sehr erfolgreich. Ich war 2018 auf einer Konferenz zur Popmusik des Reeperbahnfestivals in Hamburg. Während eines Interviews wurde Fler dort gefragt, wieso es so wenige erfolgreiche Frauen im deutschen Hip-Hop gäbe. Er antwortete daraufhin, dass eine erfolgreiche Frau über Sex rappen und gut aussehen müsse und es einfach zu wenige geben würde, die diese Rolle erfüllen könnten. Mich hat das getriggert und ich habe daraufhin etwas gesagt. Die Aufnahmen des Events auf Youtube haben mir im Nachhinein ziemlich unangenehme Nachrichten und Kommentare eingebracht. Das war meine Initialzündung es in die eigene Hand zu nehmen, zu zeigen, wie viele tolle Rapperin es gibt und dass der Anspruch an eine gute Musikerin nicht ist, dass sie über Sex rappen oder so aussehen muss.

Dieses Jahr folgte dann ein eigenes Label. Was macht 365XX besonders?
Mir geht es darum mit Künstlerinnen zu arbeiten, die innovativ sind und eine künstlerische Vision haben. Das heißt auch, ihnen ein Arbeitsumfeld zu geben, in dem sie nicht expliziten Erwartungen entsprechen müssen. Wo es nicht heißt: „Du bist eine Rapperin, rap doch mal über Liebe“ oder „Zieh doch mal das und das an“. Diese Erfahrungen machen viele Frauen, wenn sie das erste Mal mit einem Management, Label oder einer Booking-Agentur arbeiten.

Euer erstes Signing und Release war die Bonner Rapperin Die P. Warum habt ihr euch entschieden, gerade mit ihr zu starten?
Die P war ein mega Wunschsigning für mich. Unabhängig davon, wie sehr sie sich mit Female Empowerment auseinandersetzen möchte, geht es mir erst einmal darum, wahre Künstlerinnen zu pushen. Gleichzeitig ist der Druck abzuliefern groß, wenn man ein feministisches Hip-Hop-Label announced. Man wird viel angezweifelt. Mit diesem Signing war klar, dass wir hier über guten Rap reden.

Hayiti meinte vor Kurzem in einem Interview, dass sie keine Lust hätte, aus ihrer Musik ein „Frauen-Power“ Ding zu machen. Wäre es zielführender, wenn man nicht immer thematisieren würde, dass es gerade um Frauen geht?
Ich habe das lange überhaupt nicht thematisieren wollen, aber ich habe das Gefühl, dass ich für andere Frauen mehr verändern kann, wenn ich darüber rede. Auf der anderen Seite merke ich sehr aktiv, dass man Gefahr läuft, immer nur zum Feminismusthema befragt zu werden. Die Musik rückt dann in den Hintergrund. Ich kann vollkommen verstehen, wenn man da keine Lust drauf hat, weil es nervig ist, immer zuerst auf das Geschlecht angesprochen zu werden.

Es gibt wenige Musikgenres, die unsere Generation so prägen wie Rap und Hip-Hop. Was macht die Anziehung dieser Musik für dich aus?
Rap und Hip-Hop haben etwas extrem empowerndes. Ich glaube die meisten jungen Leute können sich damit identifizieren, sich als Außenseiter fremd in der Welt vorzukommen. Gerade die Wut im Crunk, einem meiner Lieblings-Genres, als ich groß geworden bin, hat mir als Jugendliche wahnsinnig geholfen mit meiner eigenen Wut klarzukommen. Gleichzeitig war Hip-Hop ein Fenster zur Welt für mich. So bin ich das erste Mal mit dem Thema Rassismus in Berührung gekommen. Heute sehe ich bei vielen jungen Leuten auch eine Art Sensationslust, die im Trap, Gangsta- und Cloud Rap erfüllt wird.

Das was die einen sensationslustig hören, ist für andere Alltagsrealität. Welche Rolle kommt hier dem Gangsta-Rap zu?
Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, als Gangsta und Straßenrap, wie Aggro Berlin, in Deutschland groß geworden sind. Viele im New School Hip-Hop haben das damals belächelt und angezweifelt, wie es denn Gangsta-Rap in Deutschland geben könne, wenn es hier ja keine Ghettos gebe. Früher habe ich das auch so gesehen und muss aus heutiger Perspektive sagen, dass diese Einstellung ganz schön überheblich war. Klar kann man das Märkische Viertel nicht mit der Bronx in den 70ern vergleichen. Trotzdem haben wir ein Klassenproblem in Deutschland:  Die Aufstiegschancen sind superbeschissen, Rassismus ist eine Realität. Diese Musik hat es gebraucht und braucht es heute noch, weil es für Kinder und Jugendliche, die unter diesen Umständen aufgewachsen, keinen Soundtrack und keine Identifikationsfiguren in Deutschland gibt.

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