Eine der legendären Matratzen von Sozi36.
Eines der Markenzeichen von Sozi36: gesellschaftskritische Matratzen.
Interview

Sozi36: „Straßenkunst sollte auch mal wehtun“

Der Berliner Graffiti-Künstler Sozi36 meidet die Presse. Wir durften ihm trotzdem einige Fragen stellen.

Viele Matratzen, Litfaßsäulen oder sonstigen Sperrmüll in Kreuzberg zieren Graffiti-Schriftzüge im selben Stil: oft bunt, meist politisch-kontrovers, immer mit dem Tag „Sozi36“. Hier antwortet der Künstler, der dahintersteckt.

Sozi, du willst die Leute mit deiner Kunst aus der Komfortzone schubsen und sie zur Kommunikation über politische Probleme anregen. Denkst du, das funktioniert so tatsächlich? Oder sind deine Werke letztlich doch vor allem gute Foto-Motive für Instagram?
Beides ist der Fall, und das ist kein Widerspruch. Es ist bemerkenswert, wie wir Menschen funktionieren: Ich habe mal an einem Spot etwas Aufwendiges und Persönliches gemacht, schön groß und bunt, ganz instagrammable. Die Leute gingen gleichgültig daran vorbei. Gleicher Spot zu einem anderen Zeitpunkt: eine reine Textmatratze, aber darin kam das Wort Auschwitz vor. Alle blieben stehen, lasen sich das durch und ließen es auf sich wirken. Aber da ich nichts verkaufe oder um Zustimmung buhle, bin ich zum Glück auf diese catchy Punchlines nicht angewiesen.

Weißt du trotzdem, was am besten ankommt?
Ich kriege viel Feedback, das ergibt eine klare Hierarchie: Persönliches Zeug interessiert die Leute wenig. Wenn ich kundtue, dass ich noch nie an parlamentarischen Wahlen teilgenommen habe, sind immer viele enttäuscht und streiten mit mir. Am lautesten geheult und gezetert wird, wenn die Ehre einer beliebigen Nationalfahne in Frage gestellt wird. Den meisten Zuspruch ernten seichte Konsenssachen wie zum Beispiel Gentrifizierungs-Kritik, Nettes über Geflüchtete oder Positionen gegen Trump. Am meisten viral gehen schöne Sachen mit Liebe, dann freuen sich alle.

Kann man sich vorstellen.
Mein persönlicher Liebling: Zu Israels siebzigstem Geburtstag habe ich eine Doppelmatratze mit einem kontroversen Zitat von Staatsgründer Ben Gurion an einer prominenten Stelle platziert. Mehrere Tage bildeten sich ständig Menschentrauben davor und es wurde diskutiert. Die Arbeit verlangte den Betrachtern eine Positionierung ab und es war befriedigend zu sehen, wie die Menschen sich gegenseitig argumentativ herausforderten.

Wie stehst du dazu, wenn Leute Fotos deiner Werke auf Social Media teilen, ohne dass sie Sozi verstehen? Einfach nur, weil sie schön bunt sind.
Ach, die Leute sollen es ruhig posten, wenn’s gefällt. Reichweite kommt oder kommt nicht. In der Regel habe ich mir bei der Produktion etwas gedacht. Doch die Interpretation liegt immer im Auge des Betrachters. Das fühlt sich zuerst an wie Enteignung und regt mich manchmal auf. Aber andererseits wird es dadurch wieder interessant: Widersprüche tun sich auf und ich bekomme einen Perspektivwechsel angeboten. Durch „Fehlinterpretationen“ meiner Arbeiten kommt es allerdings auch zu Missbrauch. Wenn eine „Heartbroken“-Matratze in Liebespropaganda umgedeutet wird oder wenn ich was gegen Trump oder Erdoğan mache und sich grüne Menschenrechtler in ihrem Gutmenschentum bestätigt fühlen, dann will ich nur noch gewalttätig werden.

An Sozi wird auch der Vorwurf getragen, die Arbeiten seien zu plakativ. Verwende ich aber Ironie oder Metaebenen, ist es für viele wieder zu kompliziert. Diese Interpretationsgeschichte hat mich zuerst verunsichert und ich bin zu dem Schluss gekommen: zu persönlich, zu meta, zu radikal, zu hässlich? Egal! Hau raus, was raus will! Lass es stehen, auch wenn du es morgen anders siehst, und akzeptiere, dass du nicht ändern kannst, was Menschen darin sehen.

Ich verstehe mich quasi als das Israel Kreuzbergs: aggressiv und liebevoll zugleich, immer unschuldig und doch ständig im Krieg.

Sozi36, Berliner Street-Art-Künstler

Wieso gehst du das Risiko des „Missbrauchs“ überhaupt ein und postest deine Bilder auf Instagram? Du lehnst ja auch viele Interview-Anfragen ab und bleibst lieber anonym.
Ich bin überhaupt keine Rampensau, noch nie gewesen. Eher ein unauffälliges, scheues Reh. Trotzdem ist es wichtig, mit der Außenwelt zu kommunizieren, damit Sozi keine Einbahnstraße ist. Was mir auf der Straße genommen wurde, kann ich mir auf Instagram zurückholen: Deutungshoheit über meine Arbeiten.

Interviews oder Features stecken einen immer in eine Schublade. Die muss nicht falsch sein, aber es bleibt eben nur eine einzelne Schublade und sie vermag es nicht, eine gewisse Vielfältigkeit abzubilden. Auch fängt jeder Graffiti-Pressebeitrag seit dreißig Jahren mit der gleichen hohlen Phrase „Kunst oder Vandalismus?“ an. Ich bin einfach kein großer Freund der Presse, auch wenn ich sie gegen jeden rechten Angriff verteidigen würde.

In deiner Bio auf Instagram nennst du dich „der einzige Demokrat im Nahen Südosten36“. Was meinst du damit?
Südost 36 hieß zu Mauerzeiten der Teil von Kreuzberg rund um das Kottbusser Tor. Der Name ist gleichzeitig eine Referenz auf Israel, das für sich beansprucht, die einzige Demokratie im gesamten Nahen Osten zu sein. Unsere beiden – Israels und meine – Großeltern waren in deutschen Konzentrationslagern und mussten Zwangsarbeit verrichten, wir sind gut im Austeilen, aber schlecht im Einstecken. Wir können uns jeden Schmu erlauben und bleiben dennoch Everybody’s Darling. Ich verstehe mich quasi als das Israel Kreuzbergs: aggressiv und liebevoll zugleich, immer unschuldig und doch ständig im Krieg.

Und was verstehst du unter Demokratie?
Demokratie ist wie ein frischer, klebriger Popel. Jeder kann ihn nach Lust und Laune kneten und kleben, wohin er gerade passt. Radikale Linke kämpfen für „echte Demokratie“ und die AfD verteidigt sie ebenso. Faschistische Regierungen sind heutzutage „demokratisch legitimiert“, da ja sie gewählt wurden. Unsere EU hält sich für den demokratischen Herrgott auf Erden. Und um sich zu schützen, beauftragt sie Warlords damit, Flüchtlinge im Mittelmeer einzufangen und in Konzentrationslagern auf libyschem Festland einzukerkern. Von Erdoğan fordert man die Einhaltung von Menschenrechten und vertickt dann gleichzeitig Waffen an die Türkei für den Krieg gegen die Kurden. Und in Bangladesch lässt man sich unter sklavenähnlichen Bedingungen die Kleidung produzieren, während man sich hier über den eigenen Wohlstand als zivilisatorische Glanzleistung erfreut. Mit der Demokratie ist es also wie mit der Realität, jeder hat seine eigene Interpretation, die selbstverständlich die einzig Wahre ist.

Deine Werke basieren auf Ablehnung. Eine Matratze von dir ziert die Frage, ob du nicht auch mal was Positives schreiben kannst. Deine Antwort darunter: „NEIN!“. Gibt es politische Systeme oder Errungenschaften, die du explizit bejahst?
Ich glaube nicht an das Ende der Geschichte, aus dem der Kapitalismus als endgültiger Sieger hervorgeht. Die Menschheit ist zu etwas Anderem, etwas viel Besserem in der Lage. Das ist ja das Perverse: Wir müssen nicht in einer Welt leben, in der 100 Menschen so viel besitzen wie die ärmsten 3,5 Milliarden (Zur globalen Besitzverteilung gibt es im Detail unterschiedliche Erkenntnisse. Fakt ist: Die Verteilung ist extrem ungleich und ungerecht) und Tausende Kinder an Hunger und seinen Folgen sterben.

In der revolutionären Sowjetunion bis 1953 und China bis 1976 ist es vielen Menschen unter kommunistischer Führung gelungen, erstens die alte Macht zu stürzen und zweitens eine neue Gesellschaft aufzubauen. Man kann und sollte nicht leugnen, dass dort schwerwiegende Fehler und auch Verbrechen begangen wurden. Aber es waren die ersten Versuche einer sozialistischen Gesellschaft, und daraus kann und muss man lernen. Revolutionärer Kommunismus ist also meine politische Orientierung. Doch selbst, wenn man mir dabei nicht zustimmen mag, sollten wir doch darum streiten, wie eine andere Gesellschaft aussehen sollte und wie man dahin kommt, anstatt zu debattieren, wie wir dieses Elend hier am besten parlamentarisch verwalten können. Oder wir drehen einfach weiter an der Klimaheizung, dann hat sich das Problem auch gelöst.

Du benutzt den Hashtag #Banksy36, scheust also nicht den Vergleich mit Banksy, einem der größten internationalen Streetart-Künstler. Magst du ihn? Was unterscheidet euch? Was habt ihr gemeinsam?
Banksy ist wie die Graffiti-Truppe 1UP – mit der Zeit zu Everybody’s Darling geworden. Natürlich stehen beide irgendwo ganz oben bei mir. Aber es fällt immer schwerer, die Sympathie für Projekte zu halten, die nach Perfektion streben und unerreichbar professionell sind. Straßenkunst sollte auch mal wehtun, das Auge und die Gedanken misshandeln, statt immer nur die Seele des Betrachters zu streicheln.

(c) Lilli Kuschel

Sobald Graffiti danach strebt, von allen gemocht zu werden, ist es nur noch Kunst. Ähnliches Problem mit der Berliner Street Art. Die versucht, möglichst allen zu gefallen. Das ist Kunst für die egozentrischen „Ich liebe mein Leben“-Hipstertrottel aus Kreuzkölln. Für Berliner Club-Dauerkarten-Besitzer, Einhornmaler, Selbstoptimierungsfanatiker und Yogafaschisten, die nur um ihr eigenes Entertainment bemüht und an selbstgewählter Belanglosigkeit kaum zu überbieten sind. Warum an Leuten orientieren, die nichts zu sagen und nichts beizutragen haben?

Was Banksy und mich unterscheidet, sind auf jeden Fall das handwerkliche Können, die Quantität und die Professionalität. Auch in der Anzahl der Layer, der Art und der Justiziabilität der Aktionen, der Reichweite und den Ressourcen gehen wir auseinander. Aber ansonsten haben wir vieles gemein.

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