Songs aus dem Leben: Interview mit Dellé

„Die Songs sind ein Mittel, Erlebnisse loszuwerden, die sich in mir angestaut haben“

Sein Solodebüt gab Reggae-Künstler Dellé bereits 2009. Am Freitag erschien sein zweites Album „NEO“ – passend zum Namen auch unter neuem Label. In den Jahren dazwischen ist viel passiert. Erfolge und Touren mit seiner Band Seeed auf der einen, familiäres Glück, Einschulung des ersten Kindes und Geburt eines zweiten auf der anderen Seite. Alle diese Veränderungen haben offenbar nach musikalischer Umsetzung geschrien.

Dein erstes Soloalbum „Before I grow old“ erschien vor sieben Jahren. Was war der Anlass, genau jetzt eine neue Platte herauszubringen?
In erster Linie bin ich ich ja Musiker bei Seeed. Seeed ist meine Band und mit der will ich alt werden. Sowohl das erste als auch das zweite Album sind daher in einer Seeed-Pause entstanden. Diesmal war es so, dass Pierre Ende 2014 angekündigt hat, er wolle gerne ein Soloprojekt machen. Daraufhin habe ich Guido, der schon an meinem ersten Album mitgearbeitet hat, angerufen und wir haben angefangen, Ideen zu sammeln. Das war sozusagen der Startschuss, sich auch zu überlegen, in welche Richtung es gehen soll. Das Ziel war „Before I grow old“ insofern weiterzuführen, als das in jedem Song zwar immer noch Reggae drinsteckt, aber für jemanden, der sich mit dieser Musik nicht beschäftigt, vielleicht gar nicht unbedingt zu erkennen ist. Inhaltlich ging es natürlich vor allem darum, die Geschichten der letzten sieben Jahre zu erzählen.

Auch andere Mitglieder von Seeed machen Soloprojekte. Tauscht ihr euch darüber aus und gebt euch gegenseitig Feedback?
Musik mache ich ja grundsätzlich immer irgendwie. Natürlich frage ich ab und zu meine Freunde – und damit auch Leute von Seeed – was sie von bestimmten Sachen halten. Aber an manchen Punkten im Entstehungsprozess will man auch noch gar keine Meinung von anderen hören. Seeed ist ja nur ein Teil meines Lebens. Das ist bei den anderen auch so, wir haben Familie, wir haben Kinder, wir machen andere Musik. Ich glaube, diese Pausen sind auch essentiell wichtig für Seeed und sorgen auch dafür, dass die Band lange bestehen kann. Es ist gut, dass wir uns Raum und Zeit geben, auch andere Musik zu machen. Es wäre ja schlimm, wenn man immer in demselben Trott bleiben würde.

Gerade weil sie Geschichten aus deinem Leben erzählen, sind deine Songs meist sehr persönlich, fast ein Tagebuch-Ersatz. Wie ist es, mit so emotional bedeutsamen Stücken auf der Bühne zu stehen oder in Interviews ständig darauf angesprochen zu werden?
Auf der Bühne ist das ja codiert. Ich höre mir in zehn Jahren mein Album an und weiß genau, in welcher emotionalen Situation ich damals war. Andere, die die Songs vielleicht zum ersten Mal hören, erleben etwas völlig anderes dabei. Die Musik kann trotzdem etwas Positives haben, auch wenn die Geschichte vielleicht traurig ist. Wenn du den Song „Trisomie 21“ hörst, wirst du nicht sofort merken, dass es um die Angst geht, dass mein Sohn vielleicht behindert sein könnte. Es ist einfach eine Liebeserklärung an ein Kind. Erst, wenn man sich näher damit beschäftigt und tiefer gräbt, findet man die Geschichte dahinter. Außerdem sind die Songs ein Mittel, diese Erlebnisse loszuwerden, die sich in mir angestaut haben. Wenn ich mich mit dir unterhalte, sehe ich das gar nicht so, dass du jetzt meine persönlichsten Geheimnisse erfährst. Das hier könnte auch ein Gespräch auf einer Party sein, in dem man von einer bestimmten Erfahrung im Leben erzählt.

Trotzdem steckt viel von deinem Leben und Gefühlen in den Songs. Wie wichtig ist da die Reaktion des Publikums?
Wenn sie mir egal wäre, dann würde ich nicht auf die Bühne gehen. Wichtig ist, dass die Emotion bei einem Konzert erst einmal auch ohne den Text rüberkommt. Musik ist eine universelle Sprache und auch wenn ich die Worte nicht verstehe, kann es trotzdem auf der Metabene etwas mit mir machen. Und wenn mir der Song gefällt, dann beschäftige ich mich vielleicht mehr damit und verstehe dann erst, worum es eigentlich geht. Wenn ich die, die darauf achten – auch wenn das vielleicht nur eine Minderheit ist – berühre, dann habe ich schonmal etwas geschafft.

Wenn du mit deinem Album auf Tour gehst, bist du mit einer Band unterwegs. Worauf achtest du bei der Auswahl der Musiker, die letztendlich deine Songs spielen?
Die Grundvoraussetzung ist, dass sie ihr Instrument beherrschen und ihr Genre verstehen. Man braucht schon jemanden, der ein Gefühl für diese Art von Musik hat. Aber na klar, man wächst natürlich auch zusammen. Meine jetzige Dellé-Band hat auch schon eine Geschichte von sechs Jahren, da erlebt man natürlich vieles. Dabei entsteht eine ganz besondere Art von Verständnis, das ist das wichtigste. Der beste Drummer oder Bassist ist nichts wert, wenn man sich mit ihm nicht versteht.

Wenn du auf deine bisherige Karriere zurückblickst, gibt es einen Moment, der dir peinlich ist?
Da gab es dieses eine Seeed-Konzert in Hamburg, zu dem die Plattenfirma eingeladen hatte. Wir hatten ein wirklich schönes Konzert, alles lief super. Wir Sänger hatten uns vorher überlegt, als Zugabe noch einmal einen Song A-Capella zu singen. Das haben wir dann auch gemacht und plötzlich haben wir alle in einer anderen Tonart gesungen und total schief und es war einfach furchtbar. Man sieht ja auch die Zuschauer in der ersten Reihe und die Mädels, die uns vorher angehimmelt hatten, guckten uns mit einem Ausdruck an, der sagte: „Wie kann ich dir helfen? Du tust mir gerade so leid.“ Diesen Blick werde ich nie vergessen. Mich ärgert es so, dass wir nicht einfach aufgehört haben, als alles gut war.

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Kategorien Interview Kultur Musik

„Wenn Sie Journalistin werden wollen, sind Sie in diesem Studiengang falsch“, hörte ich im ersten Semester nicht nur einmal. Trotzdem habe ich mittlerweile, mit 22, meinen Abschluss – und arbeite stetig daran, den Zweiflern das Gegenteil zu beweisen. Denn das Schreiben lasse ich mir nicht mehr wegnehmen. Es ersetzt für mich rauschzustandsauslösende Substanzen, es ist mein Ventil, wenn die Gedanken zu laut schreien und kein Platz für ekstatisches Tanzen ist. Schreiben kann ich über all das, wonach niemand fragt, was im Gespräch niemand von mir wissen will. Am spannendsten ist aber, anderen Menschen zuzuhören und ihre Geschichte zu erzählen.