Foto: Fabien J. Raclet

AnnenMayKantereit im Interview: „Wir nehmen den ganzen Hype mit Humor“

Mit erstem Album und großer Tour starten AnnenMayKantereit deutschlandweit durch.

Diese vier Kölner Jungs sind längst kein Geheimtipp mehr. Am Freitag erscheint das heiß ersehnte Debütalbum „Alles Nix Konkretes“ von AnnenMayKantereit, die mit ihren unkitschig-ehrlichen, gefühlvollen Songs Tausende Fans berühren und gleichsam zum Tanzen bringen. Wir trafen sie zum Interview.

Warum mussten eure Fans so lange auf das Album warten?
SEVERIN: Lieder auszuprobieren und zu schauen, wie man das Gefühl am besten rüberbringt, kann man am besten, wenn man live spielt. Wir haben erst die EP aufgenommen, ein Jahr weitergespielt, Lieder zusammengesammelt. Das war die ­schönste Art, ein Album zu machen.

Das scheint ganz eurem Konzept von handgemachter Musik zu entsprechen. Jetzt seid ihr bei Universal unter Vertrag. Wie passt das zusammen?
CHRISTOPHER: Ein Vertrag bei einem Major-Label bietet viel mehr Möglichkeiten, weil die enorm viel Kohle haben, um uns zu unterstützen. Uns war erst mal wichtig, unsere Musik vielen Leuten zugänglich zu machen. Das geht so natürlich um einiges einfacher als mit einem kleinen Indie-Label oder alleine. Und Universal hat zum Glück gar kein Interesse, uns zu verändern. Unsere Musik darf das Label nicht berühren.
SEVERIN: Von außen stellt man sich das manchmal so vor: Eine Band geht zu einem großen Label und die sagen dann, so und so müsst ihr eure Musik machen und jetzt zieht mal alle Glitzerjacketts an. Wir wussten bereits, wie wir rüberkommen wollen und das war bei uns sehr gefestigt. Bei uns stand ein Plan, ein Konzept hinter allem.

#AnnenHuckNeubauerKantereit: Margarethe hat die Kölner Jungs zum ‪Interview‬ getroffen – "Reibeisenstimme" Henning May lag leider krank im Bett. Foto: Jan Schueler
#AnnenHuckNeubauerKantereit: Margarethe hat die Kölner Jungs zum ‪Interview‬ getroffen – „Reibeisenstimme“ Henning May lag leider krank im Bett. Foto: Jan Schueler

Hat sich eure Art, Songs zu schreiben, verändert, seit ihr für ein Massenpublikum spielt?
CHRISTOPHER: Unsere Freundschaften und unsere Themen verändern sich zwar, aber wir schöpfen daraus noch immer die Inspiration für unsere Songs. Die passen sich ja auch unserem Erleben an. Das letzte Lied auf dem Album, „Krokodil“, verarbeitet zum Beispiel unsere neue Situation. Und wir zehren natürlich von der Zeit, in der wir nicht auf Tour waren und die noch sehr präsent ist, und schreiben darüber.

Ihr habt als Straßenmusiker in den Kölner Fußgängerzonen angefangen. Vermisst ihr diese Zeit?
SEVERIN: Nach dem Abi war es einfach schön, sich samstags bei gutem Wetter rauszustellen, und dann ist jeder mit ’nem Fuffi nach Hause gegangen. Aber für uns war Straßenmusik auch, sich mit der Gitarre in den Park zu setzen und für uns selber Musik zu machen. Das machen wir, wenn Sommer ist, noch immer. In der Schildergasse zu stehen, zehntausend Leute kommen vorbei und man zockt da wie wild, das war auch eine tolle Phase, aber richtige Konzerte zu spielen ist dann doch angenehmer.

Auf eurer Tour habt ihr bisher sicher viel erlebt. Was waren die Highlights?
SEVERIN: So eine Tour besteht ja quasi ausschließlich aus einer Aneinanderreihung von schönen Momenten. Für uns ist es auch schön, wenn wir zwischendurch Zeit für ein Fußballspiel haben. Eine Tour ist wie eine Klassenfahrt. Nach drei Monaten Konzertpause ist es ein Highlight, wieder in die Klasse zu kommen und alle wiederzusehen. Und wenn dann alle mega-aufgeregt sind, schlägt das bei uns schnell ins Alberne über. Auf den Festivals andere Bands kennenzulernen ist auch super. Die erleben ja gerade das Gleiche wie wir und man kann dann Themen ansprechen wie: Wie ist es für euch, dass ihr nie zu Hause seid? oder Wie ist das mit Freunden oder der Freundin?

Hennings Stimme wird als euer außergewöhnliches Markenzeichen gefeiert. Wie geht ihr als Band damit um?
SEVERIN: Für uns ist es eher lustig, weil wir innerhalb der Band damit total cool sind. Es ist natürlich schön, ein Alleinstellungsmerkmal zu haben, an dem man als Band wiedererkannt wird. Und dass das jetzt an der Stimme liegt, ist doch supergeil. Oft stört sich Henning eher daran, dass er so viel darauf angesprochen wird.

Gab es für euch den einen Moment, in dem ihr wusstest: Jetzt wird das was ganz Großes, jetzt werden wir reich und berühmt?
CHRISTOPHER: Als wir Malte gefunden haben! (lacht)
MALTE: Reich und berühmt sind wir auf jeden Fall beides – nicht.
SEVERIN: Wir hatten eher viele kleinere Erfolgsmomente. Unser erster Club-Gig in Köln. Die erste EP. Wir werden in diesem Jahr auch auf einem Festival in Sankt Gallen spielen, wo Radiohead nach uns auftreten. Das ist schon geil. Dass wir mit den Beatsteaks auf Tour gehen durften, war ultrakrass. Wenn die quasi deine Patenonkel werden.

Wie fühlt sich das an, nicht mal mehr in Ruhe Zahnpasta kaufen zu können?
SEVERIN: Es ist ja nicht wie in einer Castingshow, wo dich erst gar keiner kennt und plötzlich alle. Das hat sich gesteigert. In Berlin und Köln passiert es schon mal, dass die Leute einen in der U-Bahn ansprechen oder angucken. Manchmal steigert man sich dann rein und denkt: Kennt mich jetzt hier irgendwer? Man fühlt sich schon beobachtet.
CHRISTOPHER: Mit dem Namen ist es schwierig. Wenn meine Mutter erzählt, dass sie irgendwo mit Karte zahlt und auf den Namen angesprochen wird. Darüber haben wir uns damals keine Gedanken gemacht.

Gab es in letzter Zeit solche Momente des Erkanntwerdens, die euch spontan einfallen?
SEVERIN: Ich bin mit einem Freund nach Dortmund gefahren in einem sehr leisen Zug. Auf einmal kamen zwei Mädels, haben mich angesprochen und dann hat das der ganze Waggon mitbekommen. Das war unfassbar peinlich. Aber es ist auch schön. Man ist ja kein Comedy-Heini, über den sich alle lustig machen, man ist auch stolz drauf und hat dann was zu erzählen.
CHRISTOPHER: Am Weiberdonnerstag war ich schon ein bisschen angetrunken und wollte mir mittags schnell eine Pizza holen gehen. Dann kam auf einmal eine Gruppe von zehn Leuten auf mich zu. Ich stand da und hätte einfach gern in Ruhe meine Pizza gegessen.

Foto: Fabien J. Raclet
Foto: Fabien J. Raclet

Wie haben es eure Eltern verkraftet, dass ihre Söhne keine Anwälte oder Ärzte sondern Rockstars werden?
SEVERIN: Als wir nach dem Abi gesagt haben, wir machen jetzt erst mal Mucke, waren die ganz entspannt und meinten: Jaja, macht mal. Im nächsten Semester könnt ihr euch ja dann einschreiben. Eltern müssen verstehen, was man da eigentlich macht, dann ist es okay.
CHRISTOPHER: Mittlerweile fahren die auch gern alle zusammen als Elternreisegruppe zu unseren Konzerten. (lacht)

Hattet oder habt ihr einen Plan B?
CHRISTOPHER: Auf jeden Fall trotzdem Musik. Ich wäre vielleicht klassischer Gitarrist geworden. Etwas weniger Ruhm, weniger Geld, mehr Freizeit.
SEVERIN: Natürlich hatten wir alle eine Phase, in der wir überlegt haben, zu studieren. Die dauerte etwa so drei Wochen. Wenn ich jetzt zu Hause morgens in den Probenraum gehe und Schlagzeug übe, checke ich: Das ist mein Job! Echt cool. Und nebenberuflich bin ich Astronaut.
MALTE: Im Moment können wir tatsächlich von unserer Musik leben. Das ist toll und wirklich extrem selten.

Durch den medialen Rummel bekommt ihr sicher auch viele Werbeanfragen. Wo macht ihr mit und wo zieht ihr den Schlussstrich?
MALTE: Wir sind da sehr zurückhaltend und würden trotz unserer Bekanntheit nicht für irgendetwas werben, das wir gar nicht kennen oder mögen. Zum Glück werden solche Anfragen vorgefiltert. Wir achten zum Beispiel sehr bewusst auf unseren Fleischkonsum. Wenn jetzt ein Hersteller für Qualitätssalami bei uns anfragt, dringt das gar nicht zu uns durch. Wir unterstützen mit unserem Namen lieber andere Bands, die dann bei uns als Vorband spielen.

Angesichts des riesigen Medienhypes wirkt ihr wahnsinnig entspannt. ­Wie schafft ihr das?
SEVERIN: Wir nehmen das alles mit einer gesunden Portion Humor. Natürlich ist das ein Thema, wie uns das verändert. Aber wir reflektieren das, quatschen darüber mit Freunden. Zum Glück haben wir genug Leute in unserem Umfeld, die uns Ansagen machen würden, wenn wir in eine abgehobene Richtung abdriften ­würden.
MALTE: Wir versuchen, das alles zu relativieren. Für uns ist die Musik losgelöst von all dem Medienhype. Darauf können wir uns verlassen, und die bleibt, auch wenn niemand mehr darüber berichtet.

Das Gespräch führte Margarethe Neubauer, 21 Jahre.

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Kategorien Kultur Musik

Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.