Der Gehörlosen-Bund spricht sich in einer Broschüre dafür aus, dass Gehörlose zweisprachig aufwachsen
Von Corinne, 17 Jahre
Insgesamt rund 300 000 Menschen in Deutschland sind hörbehindert und in der Fähigkeit, zu hören, so stark eingeschränkt, dass sie einen Schwerbehindertenausweis haben. Aber nur ungefähr 80 000 von ihnen sind gebärdensprachig. Dabei ist die Gebärdensprache für Hörbehinderte wichtig, um sich in allen Lebenssituationen genauso ausdrücken zu können wie Menschen, die normal hören. Grund dafür, dass nicht alle sie lernen, ist laut dem Deutschen Gehörlosen-Bund in den meisten Fällen eine einseitige sprachliche Erziehung der hörgeschädigten Kinder. Viele Eltern versuchen, sie an die Lautsprache heranzuführen, die ihnen wegen ihrer Behinderung aber nur mit Einschränkungen zugänglich ist.
Aus diesem Grund hat der Gehörlosen-Bund nun eine Broschüre zur Frühförderung hörbehinderter Kinder veröffentlicht, in der über dieses Problem aufgeklärt werden soll. Ziel ist es, darauf aufmerksam zu machen, dass gehörlose Kinder bilingual, also mit Gebärden- und Lautsprache zugleich, aufwachsen sollten.
„Bislang wachsen fast nur Kinder gehörloser Eltern bilingual auf“, erklärt Bettina Herrmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Gehörlosen-Bundes. Das liegt auch daran, dass gebärdensprachliche Förderung nicht im Heilmittelkatalog verzeichnet ist, eine Finanzierung ist bei den Behörden deshalb häufig nicht durchzusetzen. „Die Gebärdensprache wird zu einem großen Teil in der Frühförderung und Pädagogik noch immer nur als letzte Chance betrachtet, wenn jemand eben nicht die erhofften Erfolge in der gesprochenen Sprache hat“, meint Herrmann.
Eltern genügt es oft, wenn ihre Kinder den Alltag mit Hilfe von Lautsprache meistern können. Andere Bereiche der Sprache, in denen man sich ausdrücken können muss, um zum Beispiel auch abstrakte Gedanken fassen zu können, kommen hingegen vielfach zu kurz. Daher sollten Hörbehinderte nach Meinung des Gehörlosen-Bundes die Möglichkeit haben, die Gebärdensprache auch als Muttersprache zu erlernen, bevor sie sich an die Lautsprache heranwagen. Wichtig sei – egal ob Gebärden- oder Lautsprache Erstsprache ist – ein reibungsloser Übergang zwischen beiden.
Ein großes Problem liegt der Broschüre zufolge auch bei den Schulen. In Deutschland sei es bislang noch nicht selbstverständlich, dass an Schulen für Hörbehinderte in Gebärdensprache gelehrt wird. Dadurch könnten sich viele Kinder im Unterricht nicht problemlos ausdrücken.
Damit Hörbehinderte ohne Probleme auch Schulen besuchen können, die nicht auf Hörbehinderungen spezialisiert sind, sollte eine Gebärdensprachverdolmetschung Grundvoraussetzung sein – sowohl zwischen Lehrern und Schülern als auch zwischen den Schülern selbst. Das ist allerdings aufwendig und wird daher bisher nur selten gemacht.
Unter anderem daran will der Gehörlosen-Bund mit der Broschüre nun etwas ändern – da den Kindern mit der zweisprachigen Erziehung die Welt der Gehörlosen und der Hörenden offen steht.