Alter Egos

Kann er wieder Begeisterung für die Kirche wecken? Papst Franziskus I. Foto: DPA

Johanna, 17 Jahre, aus Hermsdorf fragte vor einigen Wochen bereits Frau Haube: „Der neue Papst wird bejubelt. Warum treten trotzdem so viele Menschen aus der Kirche aus?“


Nun antwortet auch Herr Höff: Wenn man zu irgendeiner gesellschaftlichen Institution wie Staat, Kirche oder auch nur zu einem Verein gehört und den Eindruck hat, dass die anderen Mitglieder völlig entgegengesetzte Vorstellungen von dem Verhalten oder den Zielsetzungen haben als man selbst, ist es vernünftig auszutreten. Bei einer solchen Einschätzung kann man sich aber auch gewaltig irren, wie das Beispiel der untergegangenen DDR zeigt. Nachdem eine Menge Bürger aus dem Staat „ausgetreten“ waren, indem sie geflüchtet oder ausgereist waren, wurde den Menschen schließlich bewusst, dass es nicht ihre Mitbürger waren, die eine andere Vorstellung von der Gesellschaft hatten als sie selbst. Es war die Regierung, die ihre Vorstellung davon, wie eine Gesellschaft leben sollte, den Bürgern aufzwingen wollte. Nicht die Bürger mussten ihren Platz räumen, sondern die Staatsführung.


Die Kirche mit der DDR zu vergleichen, wäre natürlich völlig falsch. Aber in diesem einen Punkt scheint  die Kirche in einer ähnlichen Situation zu sein. Abgesehen von denen, die nur, um angepasst zu sein, Kirchenmitglieder waren, weil sie zum Beispiel in einer sehr christlichen Gegend aufgewachsen sind, und die Kirche deshalb irgendwann doch verlassen haben, treten auch Menschen aus der Kirche aus, weil sie mit dem Glauben und der Moral, für die die Kirche steht, nicht mehr einverstanden sind. In Fragen der Empfängnisverhütung, Ehescheidung, Frauenpartizipation und des Zölibats ist zum Beispiel vermutlich der weitaus größere Teil des Kirchenvolkes ganz anderer Auffassung als die Kirchenleitung. Dabei besteht die Kirche zum weitaus größeren Teil aus ihren einfachen Mitgliedern, nicht aus ihrer Leitung.


Die Krise der Kirche ist die tiefe Kluft zwischen dem, was die Leitung lehrt, und dem, was die Mitglieder leben. Welche Impulse für ein gelungenes Leben gehen zum Beispiel noch vom Dogma der leibhaftigen Himmelfahrt Marias aus oder von Tugenden, die zwar gepredigt werden, aber im Alltagsleben nicht vorkommen?


Einer, der den Reformbedarf der Kirche wahrnimmt, könnte der neue Papst sein, der sich anders gibt als seine Vorgänger, auch bescheidener auftritt und damit die Hoffnung nährt, dass sich vielleicht doch etwas ändert. Das wäre wichtig – bevor das Kirchenvolk geht. 


Dein Manfred


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