Einer für alle: In der Öffentlichkeit werden Migranten oft nur auf ihre Herkunft beschränkt
von Phuong Duyen Tran, 15 Jahre
Ich versuche, Halt zu finden – in der überfüllten U-Bahn. Die Fahrgäste scheinen erschöpft, es ist Feierabend, hier und da hört man leise Gespräche. Haltestation Samariterstraße. Menschen strömen aus der Bahn, andere steigen hinzu, unter ihnen ein junger Mann. Er spielt auf seinem Handy laute Musik ab. Rap-Texte, die ich schwer verstehen kann. Ich mache mir wenig Gedanken über ihn. Es ist Berlin – wir sind laut, lebendig, vor allem verschieden.
„Der ist doch bescheuert“, empört sich eine ältere Dame neben mir. „Ist doch klar, der ist Türke. Die sind alle so“, erwidert ein anderer. Ein Schulterzucken und Nicken geht in der Menschengruppe herum. Die Situation war unheimlich unangenehm. Während ich den Mann zunächst als jung oder groß bezeichnet hätte, fiel vielen um mich herum offenbar nur auf, dass er ausländischer Herkunft war. Mehr noch: Er war einfach der Türke.
Das ist mir nicht fremd. Oft muss ich einsehen, dass ich nur auf meine Herkunft beschränkt werde. Alles, was ich tue oder sage – es gilt für alle „meinesgleichen“. Ich überlege mir daher immer mehrfach, wie ich mich in der Öffentlichkeit verhalten soll, und das hat zweifellos guten Einfluss auf mich. Doch das Gefühl, nicht als Individuum angesehen zu werden, sondern als die Vietnamesin – es belastet mich.
Ich fühle mich einerseits stolz und geehrt, gewissermaßen Verantwortung für Menschen übernehmen zu dürfen, mit denen ich aufgrund der Herkunft ähnliche Erfahrungen teile. Letztlich aber bin ich mir sicher, dass ich keineswegs für all jene repräsentativ sein kann. Viele Menschen verfallen den Stereotypen, obwohl sie sich vielleicht als Migranten gegenüber aufgeschlossen bezeichnen würden. Das liegt an der Art und Weise, wie Migranten in der Öffentlichkeit dargestellt werden. Die Medien etwa behandeln das Thema Migration mehrheitlich, indem sie Klischees wiedergeben. Wenn es um Muslime geht, werden Problemjugendliche aus Kreuzberg oder Neukölln gezeigt oder verschleierte Frauen, die mit dem passenden Kommentar über den Bildern suggerieren sollen, dass sie mit Integration nicht viel am Hut haben. Der einzelne Mensch hat gegen die Kraft solcher Bilder kaum eine Chance.
Insofern habe ich noch Glück, denn Vietnamesen gelten oft als klug und fleißig. Sogar Thilo Sarrazin lobte uns in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“. Trotzdem provozieren mich diese Aussagen. So wie es jene leistungsstarken vietnamesischen Schüler gibt, gibt es auch schwächere – in jeder Kultur. Ich möchte sagen können, dass ich aufgrund von persönlicher Strebsamkeit oder Fleiß etwas erreicht habe und nicht weil es mir durch meine ethnischen Sitten und Bräuche gegeben ist. Wenn die Leute mich sehen, möchte ich, dass sie mich als Person registrieren, nicht als Prototyp vietnamesischer Ausländer.