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Bilanz nach vier Monaten Praktikum: Hauptsache, niemals Vollzeit!

Jessica ist ins Berufsleben eingestiegen und hat ein Vollzeit-Praktikum absolviert. Dabei hat sich unsere Jugendredakteurin leicht verändert – und eine Entscheidung getroffen.

Ich sitze in der Bahn. Motiviert und mit einem Lächeln im Gesicht, denn hinter mir liegt der erste energiegeladene Tag meines Vollzeit-Praktikums. Um mich herum allerdings nur trübe Gestalten mit fahlen Gesichtern und bösen Blicken.

Das war vor vier Monaten. Und nun? Das einzige Ziel nach den heutigen acht Stunden Arbeit ist mein Bett! Ich habe keine Lust auf Aktivitäten. Keine Lust mehr auf Ausgehen, keine Lust auf Freundetreffen, keine Lust auf Spaßhaben. Selbst meine engsten Freunde überzeugen mich nicht. Da sie aber frei sind und keinen Fulltimejob haben, können sie das nicht nachvollziehen, und ich beginne auszuweichen: „Schaust du heute Abend noch bei der Party vorbei?“ Sorry, muss morgen früh raus. „Wollen wir Samstag zum See?“ Ein andermal vielleicht. Ich war keine gute Freundin, habe nur abgesagt, mich nicht gemeldet. Ich bin nun eine von ihnen. Eine trübe Gestalt mit fahlem Gesicht und bösem Blick in der Bahn. Doch ich scheine auch Mitleid zu erwecken. Dass meine Mutter mir morgens ein Brot schmiert, ist zuletzt etwa 2008 passiert. Nun hat sie aber Angst, dass ich bei der Arbeit vergesse zu essen.

Und ich frage mich, wie ihr normalen Menschen Leben und Arbeit unter einen Hut bekommt. Doch das schafft ihr gar nicht, stimmt’s? Denn die einzigen beiden Möglichkeiten dafür heißen Superheldenkraft und Burn-out. Also nehmt ihr in Kauf, dass eure Freundschaften und Familien zerbrechen. Ihr funktioniert im Hamsterrad, für drei Wochen Urlaub auf Mallorca pro Jahr. Und ihr findet das selbst furchtbar! Wenn ihr aber darauf angesprochen werdet, meint ihr, das wäre eben der Lauf der Dinge. Jetzt verstehe ich, weshalb ihr morgens in der Bahn so grimmig ausseht. Aber böse schauen bringt Falten und deshalb kann ich für mich behaupten, dass ich mit meinen 18 Jahren damit endgültig abgeschlossen habe. Vier Monate reichen völlig aus, um zu erkennen, dass der Job nicht das Leben ist – da brauche ich doch keine 45 Jahre bis zur Rente für! Sogar Kraftklub hat schon festgestellt, dass ein Nine-to-five-Job megaätzend ist. Und als amtierende Beer-Pong-Champions müssen sie es ja wissen. Da laufe ich lieber mit meiner Spiegelreflex durch Friedrichshain und mache Fotos von Streetart für meinen Fashionblog. Hauptsache, nicht Vollzeit! Nananana …

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Statt Netflix verfolge ich Konzerte. Ich (20 Jahre) brauche keine Sojamilch, sondern guten Kaffee. Mein Yoga ist es, auf viel zu vielen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Dabei ist der Eisbär mein Patronus, den meine Eltern mir mit sieben Jahren einfach nicht als Haustier erlaubten. Aber wenn eine Idee von der Außenwelt für verrückt erklärt wird, dann muss sie erst recht verwirklicht werden, und eben jene Personen mit Mut und außergewöhnlichen Gedanken sind es, von denen die Welt wissen sollte. Was kann ich da sinnvolleres tun, als für Spreewild zu schreiben? Die Verhandlungen um den Eisbären laufen jedenfalls weiter.

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