Klartext

Warum fällt es uns so schwer, uns selbst zu lieben?

Ständig auf der Suche nach Glück und doch nie so richtig zufrieden. Über unsere Unfähigkeit, uns selbst zu genießen. Ein Kommentar.

Ein Freund meinte letztens, er sei glücklich, weil er eine Wohnung gefunden hat und die Annahme für ein Auslandssemester reingeflattert kam. Ich kenne ihn gut – ich kenne aber auch den Unterscheid zwischen glücklich und zufrieden sein. Zufrieden bin ich, wenn ich abends nach einem langen Tag im Bett liege, aber bin ich deshalb glücklich? Nein. Glücklich sein bedeutet, mit sich selbst im Reinen zu sein, sowohl zu seinen positiven als auch negativen Eigenschaften zu stehen. Nur wenige Menschen scheinen mir das erreicht zu haben, doch warum? Warum fällt es uns so schwer, uns selbst zu lieben und als das anzuerkennen, was wir sind? Warum müssen wir uns ständig vergleichen, unsere Unsicherheiten kaschieren und somit andere ebenfalls in diesen Kreislauf hineinziehen?

„In Berlin fällt es auch dem Extrovertiertesten schwer, ein passendes, noch zu begeisterndes Publikum zu finden.“

Wir leben in sozialen Gruppen mit genau festgelegten Hierarchien. Wir beobachten andere, versuchen, Verhalten zu imitieren und in der Gruppenhierarchie aufzusteigen. In Berlin fällt mir das immer wieder auf, viel stärker als anderswo. In einer Stadt, in der jeder Mensch eine scheinbar spannende Geschichte zu erzählen hat, fällt es auch dem Extrovertiertesten unter uns schwer, ein passendes, noch zu begeisterndes Publikum zu finden. Rastlos streift er Tag und Nacht durch die Stadt, immer auf der Suche nach hippen Events und außergewöhnlichen Erfahrungen, nur um bei der nächsten Feier zumindest für eine Minute die faszinierten Blicke der anderen wie ein Schwamm aufzusaugen. Und fast immer sind es die Jungen, die noch das Gefühl haben, sich beweisen zu müssen, die versuchen, sich selbst zu finden.

Und warum auch nicht? Jeden Tag sehen sie Menschen, die attraktiver, erfolgreicher und schillernder sind als sie. Nacheifern ist die Devise, den Lebenslauf und die Persönlichkeit aufwerten. Zugeben, dass dieses ständige Suchen krankhaft ist, dass sie unzufrieden sind? Nein. Sie wissen es ja auch oftmals nicht und wollen es auf ihre unreflektierte Art und Weise nicht erkennen. Sie denken, sie wären die Größten, denken, das gehört zur Jugend dazu. Sie denken, sie seien im Reinen mit sich selbst und absolut nicht selbstverliebt. Es ist oftmals genau umgekehrt.

„Sie liebt die Show, aber eben nicht sich selbst.“

In glücklicherweise gut dosierten Abständen erlebe ich – als vergleichsweise doch eher Introvertierter – solche Menschen und muss oft schmunzeln. Ein Gespräch mit der Person reicht dann oft schon, um zu erfahren, wie unsicher sie wirklich ist. Sie liebt die Show, aber eben nicht sich selbst.

Wir weigern uns, unser Leben als gut anzuerkennen. Hadern ständig mit uns selbst, mit unseren Macken, unserer Wesensart, unseren Problemen, die gar keine sind.

Kein Mensch ist mit sich selbst hundertprozentig im Reinen, verspürt manchmal den Drang, sich anzupassen, sich hervorzuheben und krampfhaft seinen Erfahrungshorizont zu erweitern. Doch ab einem gewissen Punkt sollte man sich zumindest weitestgehend so akzeptieren, wie man ist, sollte sich mal entspannen und sympathisch wirken, anstatt mit gehetztem Blick die Hinterhöfe von Berlin abzuklappern.

Dieser Text mag jetzt vielleicht auf seine kitschig-abgeschmackte Weise wie die pseudophilosophischen Profilbildunterschriften mancher Personen auf Facebook oder Instagram wirken. Wer sich jedoch auf der nächsten WG-Feier mal besinnt und den einen oder anderen genauer unter die Lupe nimmt, wird erkennen, dass doch ziemlich viel Wahrheit in diesen Zeilen steckt.

Foto: Shutterstock

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