Die schwule Party GMF im Club "Weekend" mit gleichzeitiger Eröffnung der Terrasse am Sonntag (05.06.2011) in Berlin. Foto: XAMAX
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Party gut, alles gut? Wo Millennials leben wollen

Im „Städte-Ranking für Millenials“ landet Berlin auf Platz 2 – dank Party-Szene. Margarethe hat jedoch ihre Zweifel an der Aussagekraft dieser halbseidenen Nestpick-Studien.

Endlich! Berlin darf sich mit hippen Lorbeeren bekränzen. Eine Studie des Immobilienportals Nestpick hat unsere Hauptstadt gerade auf ihren Place-to-be-Faktor überprüft und im Vergleich mit 99 anderen Metropolen zur Vizekönigin gekürt. Bezugspunkt waren – Überraschung – wir „Millennials“ (dt.: Generation der Start-upperinnen und Fashion-Blogger). Das Ergebnis kam so unerwartet – fast wäre mir das Smartphone in den veganen Cappuccino gefallen. Besonders erstaunlich: Die Berliner Clubszene überzeugt im internationalen Ranking mit Höchstpunktzahl. Das Party-Monster Berlin ist wohl einfach nicht totzukriegen, obgleich die Stammesältesten der Techno-Szene schon lange die schleichende Dekadenz beklagen. Stichwort: Feier-Touristen. Wer selbst in den vergangenen Jahren ein paar Feldforschungen im hiesigen Nachtleben angestellt hat, wird das bestätigen können.

Aber jetzt mal Open-Air-Raves, schillerndes Club-Interieur und erstklassige Line-ups beiseite. Was die Welt wirklich hierherlockt, sind Legenden und Prestige. Echte Berliner Raver erkennen sich an den runden Stickern auf ihren abgeklebten Handykameras. Und wer durch die Dunkelkammer Berghain gestolpert ist, kann sich gleich den Gang zum Bürgeramt sparen. Herzlich willkommen, du bist ein Berliner.

Dass die Clubszene in Berlin herausragend ist, will ich umgetopfte Kleinstadtpflanze gar nicht bezweifeln. Und was täte ich denn auch sonst an den Sonntagen, an denen der Flohmarkt mal zuhat? Ja, Berlin hat einen langen nächtlichen Atem. Aber wie verrückt wäre es, unsere Stadt mal nicht nur darauf zu reduzieren und einen Blick auf die anderen Kategorien zu werfen? Denn offenbar haben wir uns – so eine Frechheit – die Lorbeeren nicht nur durch Techno und Glitzer verdient. Mit jeweils circa neun Punkten stechen vor allem die Freundlichkeit für die LGBT-Szene und die Gleichstellung von Männern und Frauen hervor. Fast klingt es schon ein bisschen paradiesisch. Fast. Während Berlin dank seiner endlosen Nächte und Toleranz als Magnet für Millennials gefeiert wird, fließt der Punkt „Arbeitsmarkt“ mit Tiefstwerten in die Gesamtwertung ein. Und auch die Wohnsituation schneidet im Vergleich mittelprächtig ab. Für aktuelle Tendenzen empfiehlt sich ein Spaziergang durch Kreuzkölln.

Am Wochenende durchs Neonlicht hüpfen und am Montag auf dem Arbeitsamt ein Hoffnungslos ziehen? Zum Glück ist das alles nicht so wild. Denn, hey, wir sind die Millennials, wir sind realitätsflüchtig und arbeitsscheu. Und wer die Nächte durchmacht, braucht auch kein bezahlbares Zimmer, um zu schlafen. Obwohl: Ist Nestpick nicht auch eine Suchmaschine für Wohnungsanzeigen? Na, so ein Glück!

Foto: picture alliance/dpa

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Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.