Ein Zentralabitur mit Lücken

Von Corinne, 17 Jahre

Mut zur Lücke“ ist zu einem häufig verwendeten Sprichwort meiner Mathelehrerin geworden, wenn es bei uns im Leistungskurs um das Thema Zentralabitur geht.

Derzeit lernen Schüler in ganz Deutschland für ihre schriftlichen Prüfungen. Theoretisch kann alles, was man während der Abiturphase in der Schule behandelt hat, in der zentralen Prüfung abgefragt werden – obwohl man sich natürlich nicht in allem gleich gut auskennen kann. Deshalb ist ein Auswahlverfahren vorgesehen, um den Schülern die Möglichkeit zu geben, die Themen zu bearbeiten, die sie am besten beherrschen. Dazu werden dem Lehrer vorab vier Aufgabengebiete mitgeteilt und er darf von diesen eines aussortieren, das seinem Kurs im Unterricht die meisten Schwierigkeiten gemacht hat. Aus den übrigen drei Aufgabenkomplexen muss der Prüfling schließlich zwei auswählen, die er schriftlich löst.

In der Theorie klingt das fair und einfach, doch die Realität sieht anders aus. Denn um eine echte Wahl zu haben, muss man zumindest alle Themenfelder, die im Zentralabi drankommen können auch im Unterricht behandelt haben. Und die wurden nicht weniger, obwohl sie durch die Umstellung von 13 auf zwölf Schuljahre nur noch in zwei Jahren statt wie früher in drei unterrichtet werden. Das ist für die Lehrer zeitlich nicht zu schaffen.

Die Konsequenz ist eine Lücke im Lehrplan, die die Schüler selbstständig schließen müssen. Natürlich bedeutet das Abitur selbstständiges Arbeiten, doch wenn selbst die Lehrer zugeben, den Schülern die einzelnen Themengebiete nur unvollständig vermitteln zu können, geht das eindeutig zu weit. Die Lehrer müssen den Fokus auf bestimmte Themen legen, wodurch andere, ebenso wichtige, nicht lange genug behandelt werden können. Sie kalkulieren inzwischen mit ein, dass sie und ihre Schüler diese Themen im Abitur dann aussortieren. Ein wirkliches Auswählen der Prüfungsaufgaben, so wie es eigentlich gedacht ist – nämlich um sich auf das konzentrieren zu können, worin man gut ist, ist so nicht mehr möglich.

In den Fächern, die noch dezentral geprüft werden, hat man das Problem nicht. Denn was der Lehrer nicht unterrichtet, wird auch in keiner Prüfung auftauchen – schließlich schreibt er sie selbst. Als Schüler fühlt man sich damit wesentlich sicherer. So aber müssen wir damit leben, dass wir eine Problemstellung in Mathematik nebenbei behandeln oder gar nicht, obwohl sie prüfungsrelevant sein könnte.

Die Frage, ob die Entscheidungen, die meine Lehrerin trifft, die richtigen sind, kann ich in einem Jahr beantworten. Bis dahin muss ich einfach hoffen, dass wir die Lücken an den richtigen Stellen lassen.

Sollte das Zentralabitur wieder abgeschafft werden? Schreibt uns eure Meinung!

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Kategorien Klartext Schule

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