Dominik Forster in schwarz-weiß umgeben von Seifenblasen
Dominik Forster spricht heute offen über seine Erfahrungen mit Drogen. Foto: Deborah Kardos
Interview

Dominik Forster: „Wir brauchen mehr ehrliche Drogenaufklärung“

Dominik Forster nimmt kein Blatt vor den Mund, spricht ungeschönt über seine Drogenabhängigkeit, seine Zeit im Gefängnis und den harten Weg zurück ins normale Leben. Mit seinem autobiografischen Roman „crystal.klar“ ist der heute 29-Jährige seit 2015 an Schulen unterwegs, um Jugendliche über Drogen und Sucht aufzuklären. Seine Worte sind manchmal schwer auszuhalten. Aber gerade deshalb bleiben sie im Gedächtnis. Jetzt erscheint sein zweites Buch „klar.kommen“.

Dein erster Roman „crystal.klar“, in dem du über deine Drogensucht schreibst, hat polarisiert. Was ist die Geschichte zu „klar.kommen“?
Im Gefängnis sagen sie dir, alles wird gut, wenn du nur nicht wieder kriminell wirst. Aber mit Vorstrafe gibt dir niemand einen Job, durch den Schufa-Eintrag kriegst du keine Wohnung, ohne Wohnung kannst du kein Hartz IV beantragen und wenn du nicht weißt wohin, bist du obdachlos. Ich bin damals sogar an die Schweizer Grenze gezogen, um einen Job zu finden, aber nichts hat geklappt. Dort habe ich angefangen zu saufen. Irgendwann lag ich wieder vollgekotzt auf einer Luftmatratze und wusste, wenn ich nicht zurückgehe, schaffe ich es nicht. Das mit dem Schreiben hat sich dann so ergeben. Ich wollte schon als Kind etwas tun, das die Leute begeistert. Und ich kannte das Buch von Christiane F. und wusste, dass es als Schullektüre einfach nicht mehr zeitgemäß ist.

Nicht mehr zeitgemäß – heißt das, die Jugendlichen haben sich verändert oder die Drogen, die konsumiert werden?
Das Zeitalter ist ein anderes. Ständige Erreichbarkeit, soziale Netzwerke, Leistungsgesellschaft. Deshalb haben sich auch die Drogen geändert. Alles wird extremer. Die Zahl der Konsumenten geht zurück, aber diejenigen, die Drogen nehmen, die geben es sich richtig. Es ist dieser YOLO-Lifestyle, wobei das Wort ja schon wieder out ist. Warum soll ich an der roten Ampel warten? Warum soll ich mir die Mühe machen, ein Mädchen kennenzulernen, wenn ich es auch mit K.o.-Tropfen betäuben kann?

„Drogensucht betrifft jeden.“

Braucht es deshalb mehr Leute wie dich, die offen über Drogen sprechen?
Es müsste viel mehr Menschen geben, die, ich nenne es mal ehrliche Aufklärung betreiben. Bei „Drogenprävention“ denken Schüler an jemanden in Polizeiuniform, der ihnen erzählt, dass Drogen schlecht sind. Das hat null mit Entertainment zu tun, deshalb hat da keiner Bock drauf. Natürlich gibt es total engagierte Polizisten, aber ihr Vortrag kann niemals funktionieren. Denn die Fragen, die die Schüler wirklich haben, kann er nicht beantworten. Er kann nicht erzählen, wie geil es sich auf Crystal Meth anfühlt.

Diese Art der Aufklärung kann auch schockieren. Welche Reaktionen erlebst du?
Überraschender- oder auch traurigerweise kommt es immer an, egal ob ich vor 20 oder vor 800 Schülern spreche. Drogensucht betrifft jeden, in jeder Familie oder jedem Freundeskreis gibt es einen Süchtigen. Der Schlüssel ist, dass ich nicht das tue, was alle erwarten. Lehrer, Polizisten, Eltern erzählen immer nur, wie schlecht Drogen sind. Und dann probieren Jugendliche sie aus und denken: Aber es ist doch der absolute Hammer! Schon die erste Aussage ist für sie dann eine Lüge und dann glauben sie auch nicht, dass sie irgendwann Krämpfe oder sonst was bekommen werden. Deshalb erzähle ich zuerst, wie toll man sich auf Drogen fühlt und dass es für jeden die richtige Droge gibt.

Buchcover von klar.kommen
Dominik Forsters Buch „klar.kommen“ ist seit Samstag im Handel erhältlich.

Damit trittst du nicht als klassisches Vorbild. Bist du eher der beschützende große Bruder?
Als der, der ich heute bin, möchte ich schon Vorbild sein. Durch den, der ich früher war, bin ich aber auch ein Vertrauter, dem man erzählen kann, dass man Ecstasy genommen hat. Ich bekomme immer wieder Nachrichten, in denen Jugendliche mir schreiben, dass sie am Wochenende auf einen Rave gehen und dort Drogen nehmen werden.

Was antwortest du?
Es wird geil sein, du wirst dich toll fühlen. Ich beschreibe die Sucht als Rakete, die man anzündet. Sie schießt nach oben, alles ist toll und wird mit jedem Tag besser. Die Message ist aber: Am höchsten Punkt explodiert die Rakete und es geht wieder nach unten.

Abhängigkeit, Gefängnis, Scheitern – nicht jeder würde ein Buch über diese Vergangenheit schreiben. Sich ständig damit konfrontieren und trotzdem damit abschließen – wie passt das zusammen?
Es ist die einzige Möglichkeit, die Schüler zu erreichen. Ich öffne mich ihnen total und dann können sie sich mir auch öffnen. Sie haben vor mir Respekt und ich vor ihnen. Ich konfrontiere mich zwar immer wieder selbst damit, aber inzwischen ist es wie eine Geschichte. Es gibt Momente, in denen mir selbst gar nicht mehr klar ist, dass das mir passiert ist. Dann gibt es aber auch Dinge wie meine süchtigen Eltern, die werde ich nie verarbeiten, damit werde ich nie abschließen können.

„Wenn man clean werden will, braucht man drei Dinge, das weiß ich jetzt: Erstens Beziehungen, zweitens einen Job, der Spaß macht und drittens eine Leidenschaft.“

Sind Schüler tatsächlich so offen zu dir wie du zu ihnen?
Wildfremde Kinder vertrauen mir ihre tiefsten Geheimnisse an. Einmal hat ein Mädchen während meines Vortrags festgestellt, dass es nicht normal ist, zu Hause missbraucht zu werden. Sie war 13 Jahre alt.
So etwas kommt aber meistens nicht direkt beim Vortrag, sondern danach. Viele Lehrer erhoffen sich eine Diskussion, nach der sich alle in der Klasse untereinander verstehen. Die Klassengemeinschaft gibt es aber nicht.

In „klar.kommen“ bezeichnest du deine Geschichte als deine Mission. Wie geht sie weiter?
Ich will, dass sich mit dem Thema noch viel mehr Menschen beschäftigen. In ihrer Freizeit wollen die Leute abschalten und unterhalten werden – und da passt Drogenprävention so wie sie im Moment ist überhaupt nicht dazu. Deshalb will ich jetzt alles anders machen. Ich präsentiere bald mein neues Programm. Darin lasse ich sieben verschiedene Charaktere meinen Lebenslauf erzählen. Mein früheres Ich, den Therapeuten oder den dicken Bullen Klaus. Es wird auch ein drittes Buch geben. Außerdem will ich den ersten Roman als Graphic Novel rausbringen, dafür startet gerade ein Crowd-Funding. Mein Traum ist irgendwann der Film. Da würde ich auch ungern die Rechte verkaufen, sondern mit produzieren.

Wirst du weiterhin an Schulen unterwegs sein wie bisher?
Was ich erreichen will, ist ein Drogenpräventionsunterricht ab der 5. Klasse. Niemand würde verlangen, dass ein Schüler am Ende der 10. Klasse Englisch spricht, ohne jemals dieses Fach gehabt zu haben. Wieso verlangt man dann, dass Schüler über Drogen Bescheid wissen, wissen was Sucht ist. Wir brauchen da mehr Nachhaltigkeit. Ich würde auch gern mit einer Krankenkasse zusammenarbeiten. Fachleute und ich, der das erlebt hat, wir könnten uns doch zusammenschließen.

Du engagierst dich bereits jetzt, hast den Verein Mountain Activity Club (MAC) mitbegründet, nachdem du selbst am Projekt „Über den Berg“ teilgenommen hast. Klettern statt Drogen?
Wenn man clean werden will, braucht man drei Dinge, das weiß ich jetzt: Erstens Beziehungen, also Freunde, im besten Fall, die Liebe deines Lebens, eben menschliche Kontakte. Zweitens einen Job, der dir Spaß macht und drittens eine Leidenschaft. Das kann Fußball sein oder Bilder malen, ganz egal, Hauptsache es funktioniert. Das Problem ist, Drogen funktionieren auch. Du kannst durch die ganze Drogenpalette gehen und dir für jede Emotion eine Droge raussuchen. Ich hatte mir meinen Kick immer durch Drogen geholt und musste das durch etwas anderes ersetzen. Ich hatte dann einen Sozialarbeiter, Norbert Wittmann, der auch das Vorwort zu „klar.kommen“ geschrieben hat. Auf den ersten Blick, war das kein Typ, der mich beeindrucken konnte. Aber ich wusste irgendwie, an den muss ich mich halten. Wir sind über die Alpen gewandert, hunderte Kilometer, waren auf der Kreuzspitze. Das ist Action, der Gipfel ist der Kick. Der MAC bietet Menschen einen Raum, sich auf sportlicher Ebene mit anderen zusammenzutun, die auch aufhören wollen. Man kann das Klettern auch als eine Metapher sehen: Wenn jemand beim Bouldern auf der Hälfte einer Route aufgibt und abspringt – das ist der typische Weg eines Drogenabhängigen. Wir versuchen aber, denjenigen dazu zu bringen, dass er sein Ziel auch erreicht.

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Kategorien Interview Literatur Schule Schule & Zukunft

„Wenn Sie Journalistin werden wollen, sind Sie in diesem Studiengang falsch“, hörte ich im ersten Semester nicht nur einmal. Trotzdem habe ich mittlerweile, mit 22, meinen Abschluss – und arbeite stetig daran, den Zweiflern das Gegenteil zu beweisen. Denn das Schreiben lasse ich mir nicht mehr wegnehmen. Es ersetzt für mich rauschzustandsauslösende Substanzen, es ist mein Ventil, wenn die Gedanken zu laut schreien und kein Platz für ekstatisches Tanzen ist. Schreiben kann ich über all das, wonach niemand fragt, was im Gespräch niemand von mir wissen will. Am spannendsten ist aber, anderen Menschen zuzuhören und ihre Geschichte zu erzählen.