Interview

Wie Schulen der Radikalisierung von Jugendlichen vorbeugen können

Radikalisierung ist bundesweit ein Problem, denn immer mehr Jugendliche wenden sich islamistischen oder rechtsextremen Formationen zu. Wir haben mit Michael Hammerbacher vom DeVi e.V.  darüber gesprochen, wie dem vorgebeugt werden kann.

Interview: Tamina Grasme, 21 Jahre

Wie können Lehrer oder auch Mitschüler erkennen, dass sich ein Schüler in seinen Einstellungen radikalisiert?

Anzeichen dafür sind Veränderungen im Verhalten von Schülerinnen und Schülern. Schülerinnen und Schüler, die zuvor still und zurückgezogen waren, treten offensiv auf, vertreten extreme Positionen und wollen rigide Moral- und Verhaltensvorstellungen in der Klasse durchsetzen. Das kann so weit gehen, dass Mitschülerinnen unter Druck gesetzt werden. Ihnen wird dann zum Beispiel gedroht, dass sie „in die Hölle kommen“, wenn sie kein Kopftuch anlegen oder andere religiös motivierte Regelvorstellungen nicht einhalten. Anders herum geht es aber auch: Schülerinnen und Schüler, die eher für lernunwilliges und auffälliges Verhalten bekannt waren, werden sehr diszipliniert und halten sich an strenge Regeln, die durch politische oder religiöse Gruppen vorgegeben werden. Das betrifft rechtsextrem motiviertes aber auch religiös motiviertes Verhalten. Doch Vorsicht: Man muss genau hinsehen und nachfragen, um nicht vorschnell zu urteilen und zu Unrecht eine „Radikalisierung“ anzunehmen.

„Jugendliche mit einem stabilen Umfeld, welches hilft Krisen zu bewältigen, sind weniger anfällig.“

Sind einige Jugendliche denn mehr gefährdet als andere?

Eine Radikalisierung kann Jugendliche aus allen Schichten betreffen. Wobei eines festzustellen ist: Jugendliche, die Krisensituation durchleben müssen, sind prinzipiell anfälliger. Viele Personen, die sich gewalttätigen extremistischen Gruppen angeschlossen haben, ausgereist sind, um sich dem „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien anzuschließen, haben zum Beispiel den Verlust des Vaters oder andere tiefe persönliche Krisen durchlebt. Das gilt auch für Mitglieder von Gruppen wie „rechtsextreme Kameradschaften“. Jugendliche mit einem stabilen Umfeld, welches hilft solche Ereignisse und Krisen zu bewältigen, sind weniger anfällig.

Wie genau kann denn in der Schule verhindert werden, dass sich Jugendliche radikalisieren?

In der Schule kann auf der persönlicher Ebene und der Ebene der ganzen Schule etwas getan werden. Mitschülerinnen und Mitschüler sollten wach sein und sich gegenseitig helfen und unterstützen. Sie bekommen oft als erste mit, wenn Veränderungen im Verhalten eines Mitschülers zu erkennen sind. Die Lehrkräfte sollten geschult sein, wahrzunehmen, zu deuten und dann auch zu handeln. Die ganze Schule sollte ein demokratisches, anerkennendes und wertschätzendes Schulklima verwirklichen. Beteiligung durch Schülerinnen und Schüler sollte selbstverständlich sein. Aber auch politische und ethische Fragen, wie der Nah-Ost-Konflikt sollten dargestellt und diskutiert werden. Wir sehen mindestens neun Handlungsfelder, in denen in einer Schule gehandelt werden kann: Vom Schulprogramm, über die Schülervertretung bis hin zum Unterricht.

„Wichtig ist es, Kontakt zum Schüler oder der Schülerin zu halten. Gleichzeitig müssen aber auch die demokratischen Werte klar und glaubwürdig vertreten werden.“

Der DEVI e.V. bietet unterschiedliche Fortbildungen und Gesprächsrunden für Lehrer und Lehrerinnen zum Thema Prävention an. Welche Methoden werden denn dort an die Lehrenden vermittelt, um zu verhindern, dass Jugendliche sich radikalisieren?

Die persönliche Stärkung der Jugendlichen ist eine unserer Maßnahmen. Dabei ist es wichtig, den Kontakt zum Schüler oder der Schülerin zu halten, im Gespräch zu bleiben und nachzufragen. Gleichzeitig müssen aber auch die demokratischen Werte klar und glaubwürdig vertreten werden. Nach Möglichkeit sollten die Lehrerinnen und Lehrer auch persönliches Interesse zeigen und sich Zeit für das Gespräch nehmen. Wenn man selbst dazu nicht in der Lage ist, sollte man sich umschauen, ob nicht eine andere Lehrkraft dies tun kann.

Wenn man nach dem Motto „wahrnehmen, deuten, handeln“ vorgehen möchte, müssen die Lehrerinnen und Lehrer auch durch Fortbildungen dazu in die Lage versetzt und unterstützt werden. Das versuchen wir mit unserer Arbeit. Sollte eine Person sich einer rechtsextremen Gruppe angeschlossen haben oder planen für den IS in den Irak auszureisen, sollten die Lehrerinnen und Lehrer auch wissen, wo man sich Hilfe und Unterstützung holen kann, um genau das zu verhindern. Dazu wollen wir in den nächsten zwei Jahren „Beratungslehrerinnen und –lehrer für weltanschauliche und religiöse Vielfalt“ ausbilden.

„Die Kenntnisse darüber wie Politik funktioniert, wie man sich einbringen, mitgestalten und argumentieren kann, sind sehr wichtig.“

In Berlin wird gerade über die Wiedereinführung des Politikunterrichts diskutiert. Könnte ein solches Fach ebenfalls eine Präventivmaßnahme gegen die Radikalisierung von Jugendlichen sein?

Das könnte ein guter Baustein sein, aber nur, wenn er nicht statt des Faches Ethik eingeführt werden würde. Die Kenntnisse darüber wie Politik funktioniert, wie man sich einbringen, mitgestalten und argumentieren kann, sind sehr wichtig. Flüchtlings- und Einwanderungspolitik sollten in der Schule genauso offen diskutiert werden, wie grundlegende moralische und soziale Werte von Weltanschauungen und Religionen – mit und ohne einen Gott. Beide Fächer sind gleichermaßen von Nöten, um einen Beitrag gegen eine Radikalisierung von Jugendlichen in der Schule zu leisten. Wichtig ist, dass die vielen hier angesprochenen Bausteine zusammen wirken.

Michael Hammerbacher ist Mitglied des Vereins „Demokratie und Vielfalt“ (DeVi e.V.) und moderiert in diesem Rahmen Veranstaltungen und Fortbildungen für Lehrer in Berlin. Dort werden Präventionsmaßnahmen und Methoden vermittelt, die den Lehrkräften helfen sollen, die Radikalisierung von Schülern und Schülerinnen zu verhindern.

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Kategorien Extremismus Interview Politik

Wenn ich, 22, eine Top 5-Liste mit Sätzen, die ich in den vergangenen drei Jahren am häufigsten gehört habe, aufstellen würde, wäre „Was wird man denn so nach einem Geschichtsstudium?“ ganz weit oben vertreten. Zum Glück habe ich mittlerweile eine Antwort darauf gefunden: Journalistin. Darauf gekommen bin ich durch das Lesen von Harald Martensteins Artikeln, der selber Geschichte studiert hat. Von ihm habe ich auch meinen neuen Zukunftsplan: einfach immer schreiben. Genau das mache ich jetzt hier bei Spreewild, nachdem mir mein Praktikum in der Jugendredaktion so gut gefallen hat.