Interview mit Jugendforscher Hurrelmann: „Y-Frauen sind krisenfest“

Zur Generation Y wurde schon sehr viel gesagt. Meist nur Negatives. Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Sozialwissenschaftler und Jugendforscher, ist dagegen ein großer Befürworter.

Dieser Artikel ist erschienen in Werk6, dem Magazin des 6. Semesters der Akademie Mode & Design Berlin.

Wenn die Erwachsenen die Jugend von heute mal wieder nicht verstehen, eilt Prof. Dr. Klaus Hurrelmann zu Hilfe. Der 72-jährige Professor lehrt an der Hertie School of Governance das Fach Public Health and Education und führt mehrere Studien zu Wertorientierung, Einstellungen und Verhaltensweisen von Jugendlichen – unter Anderem die Shell Jugendstudie, die alle vier Jahre veröffentlicht wird. Schon sein Buch „Die heimlichen Revolutionäre – Wie die Generation Y unsere Welt verändert“, das er gemeinsam mit dem Journalisten Erik Albrecht 2014 veröffentlicht, nimmt die Angst vor der angeblich faulen, egozentrischen und konsumorientierten jungen Gesellschaft. Und auch bei unserem Gespräch wird klar: Die Generation Y ist viel besser als ihr Ruf.

Herr Prof. Dr. Hurrelmann, Sie sind Jahrgang 1944 – was fasziniert Sie an der Generation Y?
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann: Diese Generation hat völlig andere Erfahrungen gemacht, als das bei mir der Fall war. Die Jahrgänge von 1985 bis 2000 haben in ihrer einprägsamen Jugendzeit Krisen erlebt. Die Wirtschafts- und Finanzkrise und die daraus resultierende Jugendarbeitslosigkeit. Umweltkrisen wie Fukushima, politische Krisen wie den 11. September, Terror und die Unberechenbarkeiten des politischen Handelns. Man könnte also sagen, die Generation Y hat traumatische Erfahrungen gemacht. Und das alles bei der digitalen Erschließung von Nachrichten. Also praktisch dem Zwang, Nachrichten zu verarbeiten. Dadurch ist eine sehr viel lebendigere, aber auch nervösere junge Generation entstanden, die eine viel höhere Kapazität hat, Dinge aufzunehmen. Sie schieben aber auch Dinge auf die lange Bank und treffen Entscheidungen nicht übereilt, es könnte ja die falsche sein. Sie sind egobezogener als frühere Generationen, weil sie sich auf nichts verlassen können, außer auf sich selbst. Das ist für die heutige Zeit wahrscheinlich die klügste und erfolgreichste Überlebensstrategie.

Dann ist das ein Vorteil, dass sie egozentrischer und unentschlossener sind?
Ja. Außerdem werden junge Leute immer schnell von den älteren verurteilt. Die stellen fest: Die neue Generation ist nicht so wie die Jugend von früher, also kann das nicht in Ordnung sein. Aber eine Gesellschaft lebt davon, dass die Jüngeren anders sind, weil sie andere Verhältnisse erlebt haben. Deshalb müssen sie sich von der vorangegangenen Generation unterscheiden.

Sie beschäftigen sich damit, wie die Generation Y den Arbeitsmarkt verändern wird. Was wird passieren, wenn die erst mal in Führungspositionen sitzen?
Was man schon genau weiß ist, dass von dieser neuen Generation kein starker materialistischer Druck ausgeht. Das Geld muss zwar stimmen, aber es steht nicht mehr an erster Stelle. Was zählt ist Fitness, Wohlgefühl und das Bedürfnis, mit sich selbst im Reinen zu sein – das wird auch auf den Beruf übertragen. In die Arbeitswelt ziehen jetzt heimliche Revolutionäre – die wollen im Beruf persönliche Erfüllung und Freude haben, sie wollen dort nur Dinge machen, die sie mit sich und ihren ethischen Vorstellungen vereinbaren können. Ein gutes Betriebsklima muss herrschen, die Hierarchien sollen flach sein. Man wünscht sich Feedback und möchte projektartig arbeiten. Die Jungen sind zwar ehrgeizig, aber arbeiten nicht bis zum Umfallen. Sie wollen eine gewisse Lebensqualität behalten. Außerdem sind die Frauen sehr stark in der Generation, die haben eindeutig bessere Ausbildungen als die Männer. Gerade werden sie noch blockiert in einer sehr männlich orientierten Wirtschafts- und Berufswelt. Aber das ist glaube ich eine Übergangsphase von vielleicht zehn Jahren, bis sich die Frauen durchgesetzt haben, dann kommt auch der Wunsch auf, Familie und Beruf miteinander zu verbinden. Diese Punkte wird die junge Generation in ihr Berufsleben hineintragen. Und das wird das Arbeitsleben komplett verändern.

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Dieser Artikel ist im Werk6-Magazin erschienen.

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