„Nimm das doch mal locker!“

Wer sich gerne mit wenigen Worten zufrieden gibt, könnte Sıla Sönmez in etwa so beschreiben: Sie ist eine 25-jährige „hübsche Deutsch-Türkin“ und neueste „Sex-Autorin“. In ihrem Debütroman schreibt sie aus der Sicht der 17-jährigen Ayla über deren Leben zwischen Schule, Plattenbau, Sex und Liebe. Und ja, da stecken durchaus explizite Szenen drin. Dass es über Sıla Sönmez und „Das Ghetto-Sex-Tagebuch“ aber noch viel mehr zu erfahren gibt, könnt Ihr in ihrem Interview mit Spreewild nachlesen.

 

 

Um zu schreiben brauche ich ganz viele kleine Konflikte. (Foto: Nico Klein-Allermann)

 

 

Sıla, bist du beim Durchwühlen deiner alten Aufzeichnungen auf die Tagebuchform für das Buch gekommen?

Oh, nee. Die wären um einiges langweiliger ausgefallen! Ich habe auch nie so detailliert Tagebuch geschrieben. Das kam eher dadurch, dass mein Vater auch Schriftsteller ist und mir schon ganz früh leere Bücher in die Hand gedrückt und gesagt hat: „Schreib! Schreib alles, was du möchtest und denkst da hinein.“ Am Anfang hab ich gar nicht über einen Roman nachgedacht. Ich hab einfach geschrieben und die Ich-Perspektive gewählt. Ayla ist mir dadurch auf jeden Fall immer vertrauter geworden. Aber manchmal hat es auch genervt. Wenn man mal von den Gefühlen der anderen Leute schreiben will, braucht man immer einen Dialog oder eine dritte Person, die zu Ayla kommt.

 

Wie würdest du etwa den Charakter Sammy noch genauer beschreiben?

Sammy ist so lustig, weil alle meine Freunde gesagt haben: „Hahaha, du meinst doch den und den, oder?“ Und dann meint ich so: Ey, nee, Leute. Das beschreibt einfach so einen bestimmten Typ Mensch, der ganz simpel lebt, sich nebenbei durchs Kiffen finanziert, aber selbst die ganze Zeit am Buffen ist. Es gibt ja so viele Gangsta-Filme und ich wollte einfach mal zeigen, dass in meiner Realität der Grasticker der Cappy tragende Skater ist – nicht der Ghetto-Kanacke.

 

Sammy wirkt ja sehr normal vor allem im Vergleich zu den Männern, mit denen Ayla im Buch vorher was hat. Wie kommt das?

Diese Fantasie, mit älteren Männern Sex zu haben, ist ja was ganz anderes, als wenn man sich dann tatsächlich in jemanden verkuckt. Dann muss man halt auch sagen können: „Ok, vielleicht lass ich das mit den anderen Leuten erstmal.“ Ayla macht das ja nicht, weil sie denkt, dass das nicht geht, aber sie merkt auch, dass ihr dann der Sex gar keinen Spaß mehr macht, weil sie Sammy ja irgendwie doch toll findet und sich wünscht, jetzt lieber was mit ihm zu haben. Ich wollte auch nicht dieses: „Ah, sie hat Sex mit alten Männern, jetzt liegt sie da vergewaltigt im Wald und die Moral von der Geschicht: Traue alten Männern nicht.“ Oder dass sie auf dem Strich enden könnte. Nee, tut mir leid. Es gibt ganz viele normale Leute in Problembezirken, die unterschiedlich leben und das hab ich versucht zu zeigen.

 

Gerade Aylas Vorliebe für recht unattraktive alte Männer scheint ja die Gemüter zu erhitzen.

Also ich möchte an dieser Stelle darum bitten, dass die alten Männer mich in Ruhe lassen. Das ist nur ein Mittel, ein Werkzeug zur Provokation, das ich da verwende und ist keine Vorliebe meinerseits. In diversen Accounts à la studiVZ sind da schon Männer angekommen, die mich lieber in Ruhe lassen sollten. Und dann hab ich gesagt, dass ich nicht auf alte Säcke stehe, und dann haben sich gleich wieder alle angegriffen gefühlt. Das soll kein Angriff sein, sondern nur ganz deutlich zeigen, dass man mich nicht mit der Person aus dem Roman verwechseln sollte.

 

Was sagst du denn generell zu den ganzen Diskussionen, die sich um dein Buch herum spinnen? Selbst in der Türkei wird darüber gesprochen.

In der Türkei hieß es, ich sei die Türkin, die den Deutschen Sex beibringt. Die sind megainteressiert an dem Buch und haben mich gleich mit Mesut Özil und Fatih Akin verglichen. Das fand ich ja schon ganz cool, aber es nervt, dass man so zwangsmäßig irgendwelche Vorbilder haben muss – auf deutscher wie auf türkischer Seite. Dann gibt es einen Bambi für Integration. Den kriegt dann Mesut Özil. Das ist doch voll der unterschwellige Rassismus. Poldi und Kurányi wurde kein Bambi verliehen! Das ist echt peinlich für Deutschland. Im Prinzip ist es das Gleiche mit mir: „Ah, eine Türkin schreibt über Sex – integriert ihr anderen Türken euch auch mal.“ Das ist doch so lächerlich! Es gibt so viele Türken, die Sex haben oder zur Uni gehen. Und dann eine Kultur so unter einen Hut zu packen und zu sagen: „die Moslems.“ Ey, ich bin gar kein Moslem! Ich bin Atheist und das ist auch cool so. Aber ich möchte damit nicht sagen, dass Moslem sein etwas Schlimmes, Negatives ist, denn das ist es nicht! Jeder soll glauben, was er will.

 

Es ist scheißegal, ob du Aldi oder Dolce und Gabbana trägst. (Foto: Nico Klein-Allermann)

Du betonst in diesem Zusammenhang ja oft, dass du gerne Schwein isst…

Natürlich ist das eine bewusste Provokation, wenn ich erzähle, dass ich Schweinefleisch esse. Andere sehen das als anbiedernd. Was ist daran anbiedernd? Das soll mit bestimmten Stereotypen spielen, wie sie etwa ein Sarrazin im Kopf hat. Deshalb auch das Foto von mir mit der Aldi-Tüte. Wie diese Plakate von der NPD, wo man türkische Frauen mit Kopftuch und Aldi-Tüte sieht und drunter steht: „Geh doch nachhause!“ Ich find auch dieses Frauenbild in den Medien zum Kotzen: Ich mach mir Silikon-Titten und bin Daniela Katzenberger, ich will ne Barbie sein und das finden alle unheimlich toll. Ich will mit dem Aldi-Tüten-Bild zeigen, dass es scheiß egal ist, ob du Aldi oder Dolce und Gabbana trägst. Es kommt darauf an, was für ein Mensch ich bin und was für Gedanken ich habe. In meinem Freundeskreis interessiert sich zum Beispiel niemand für meine Nationalität.

 

Ist denn so, dass die Nationalität egal ist? Im Buch spielt das Thema schon ab und an eine Rolle.

Mich nervt dieses: „In Deutschland bin ich Türke und in der Türkei Deutscher.“ Ey, in Berlin bin ich Kölner und in Köln Berliner! Also nimm das doch mal ein bisschen locker. Ich definiere mich in meinem Alltag nicht als Türkin und halte auch eh nichts von Nationalitäten und Nationalstolz. Natürlich hab ich das mit in mein Buch gepackt. Sammy wird ausgeraubt, Gras ist weg und Micha beschuldigt sofort Ali und sagt so in etwa „Die Türken tun alle so, als müssten sie im Ghetto leben und Gangster sein und dafür kriegen sie noch Sozialhilfe.“ Und eigentlich macht diese Micha das nur, um den tollen Typen Hendrik an sich zu ziehen. Das ist doch kein Rassismus, sonder einfach das Ausspielen einer Situation, weil ich weiß, dass ich eine bestimmte Person damit treffen kann. Ich will Sachen aufzeigen, die nicht so plakativ sind.

 

Dieses Spiel mit Brüchen und Klischees ist dir auf jeden Fall gelungen. Gibt es denn schon eine neue Buchidee?

Ich habe ganz viele Ideen. Das Sex-Thema hat sich erst einmal für mich erledigt. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen. Ich brauch erst einmal wieder Zeit zum Schreiben und vor allem brauche ich etwas, das mich stört. Ich brauche ganz viele kleine Konflikte, die sich so ansammeln. Das wird definitiv nicht mein letzter Roman bleiben.

 

(Interview: Katrin Gottschalk)

 

„Das Ghetto-Sex-Tagebuch“ ist am 01. Oktober im ANAIS Verlag erschienen und kostet 9,95 Euro. Zur Verlagsseite geht es hier.

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Kategorien Interview Kultur Literatur

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