Steuererklärung statt Wirtschaftsphilosophen

Ein Schulfach „Ökonomie“ gibt es in Berlin nicht. Dafür besuchen Unternehmen Schulen und erklären die Wirtschaftswelt

Wer in der gymnasialen Oberstufe den Politikunterricht besucht, beschäftigt sich auch mit dem Thema Wirtschaft: Was ist Konjunktur und warum schwankt sie; welche wirtschaftspolitischen Grundkonzepte gibt es; wie entsteht Arbeitslosigkeit und was kann man dagegen tun? Das ist spannend, aber auch sehr theoretisch: Sobald Jugendliche ihre erste Versicherung abschließen, den ersten Arbeitsvertrag unterzeichnen oder plötzlich vor einem Berg Schulden stehen, hilft ihnen das Wissen um John Maynard Keynes‘ nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik nicht weiter.

Diese Lücke im Lehrplan versuchen Unternehmen zu schließen, die bei Klassenbesuchen direkt aus der Praxis erzählen. So begeben sich Mitarbeiter der Deutschen Vermögensberatung (DVAG) auf Anfrage von Schulen in den Unterricht der neunten bis zwölften Klassen und bringen den Schülern die praktischen Aspekte des Umgangs mit Geld näher. Auch über aktuelle Wirtschaftsthemen wird geredet.

„Schüler sollten zum Beispiel die unterschiedlichen Wirkungen von Steuern und Schulden zur Staatsfinanzierung unterscheiden können. So können Steuersenkungen sich zwar kurzfristig positiv auswirken, letztendlich aber die nächste Generation umso härter treffen, wenn sie nicht mit einer nachhaltig soliden Haushaltsführung einhergehen“, sagt Ralf-Joachim Götz, Chefvolkswirt der DVAG. Regelmäßig besucht er Schulen, um dort Jugendlichen die Welt der Wirtschaft näherzubringen. „Das Interesse an diesen Themen ist da, aber es gibt noch einiges zu tun, um die Schüler auf das spätere Leben vorzubereiten“, so Götz.

„Ich finde es wichtig, sich schon frühzeitig mit finanziellen Grundprinzipien auseinanderzusetzen, weil im ganzen Leben wichtige Entscheidungen damit zusammenhängen. Es kann nicht sein, dass junge Leute sich zum ersten Mal bei der Bank beraten lassen und gar nicht verstehen, was ihnen da erzählt wird.“

Auf die Frage, ob das Schulprojekt nicht auch versteckte Werbung für die Deutsche Vermögensberatung  sei, antwortet er: „Als großes Unternehmen trägt man auch soziale Verantwortung. Wenn wir in die Schulen gehen, wollen wir keine Versicherungen verkaufen. Im Gegenteil, wir klären die Schüler auf, damit ihnen nicht jeder Versicherungsvertreter irgendetwas andrehen kann.“ Dennoch würde er es befürworten, wenn die Schulen sich dieser Aufgabe annähmen: „Wirtschaftsunterricht an Schulen halte ich für extrem sinnvoll.“ Vielleicht steht in einigen Jahren neben Keynes auch das Ausfüllen der Steuererklärung auf dem Lehrplan.

Josephine Valeske, 15 Jahre

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