Viel erinnert in der Neuköllner Erdgeschosswohnung nicht mehr an die einstige WG. Die Landschaftsaufnahme aus den Südtiroler Alpen ist, neben einem dekorativen Plastikzebra über der Tür, das einzige Überbleibsel. Im ehemaligen Wohnzimmer von Werner (Foto) und Jakob steht heute der Tresen. Foto: Raufeld/Margarethe Neubauer

Ungewohnt gewohnt – Teil 3

Fotoserie, Teil 3:

In unserer Serie öffnen wir die Türen zu außergewöhnlichen Wohngemeinschaften, in denen wir in den Kühlschrank, unter das Sofa und hinter die Kulissen schauen durften. Heute: Wie aus einer WG ein Restaurant wurde.

Auf Werners ehemaligem Hochbett lagert zerkleinertes Knödelbrot. Wo früher das Wohnzimmer war, steht jetzt ein Tresen, zusammengeschustert aus den alten Küchendielen. Eine Zweier-WG in Neukölln hat sich verwandelt – in ein Südtiroler Knödelrestaurant. „Wir wollten von Anfang an mehr als nur wohnen“, sagt Knödelwirt Werner. Deshalb öffneten er und sein Mitbewohner Jakob ihre Wohnungstür. Erst für Kunstausstellungen und kleine Events, dann etablierte sich ein freitägliches Knödelessen, das sie via Facebook ankündigten. Mittlerweile führen der studierte Produktdesigner und sein Freund Christian, die beide aus dem Alpenraum stammen, eine echte „Knödelwirtschaft“. Mit dem Wohnzimmer-Charme der unverputzten Wände, dem zusammengewürfelten Flohmarktmobiliar und der handverlesenen Musik ist die entspannte WG-Atmosphäre erhalten geblieben. Eine kulinarische Heimat-Sehnsucht verbirgt sich hinter dem Erfolgsrezept Knödel allerdings nicht: „So romantisch ist das gar nicht“, amüsiert sich Werner. „Wir wollten einfach was mit Essen machen. Etwas, das wir können.“ Dabei kamen Knödel zu WG-Zeiten eher selten auf den Tisch, meist gab es studententypisch Pasta.

Die Zweier-WG von damals existiert nun an einem anderen Ort. Mitbetreiber Christian ist nicht eingezogen. „Wohnen und Arbeiten trennen wir lieber“, sagt Werner. Angst, dass ihr Projekt scheitert, hatten die Knödel-Jungs nie. „So darf man da nicht rangehen. Man muss es einfach ausprobieren.“

Viel erinnert in der Neuköllner Erdgeschosswohnung nicht mehr an die einstige WG. Die Landschaftsaufnahme aus den Südtiroler Alpen ist, neben einem dekorativen Plastikzebra über der Tür, das einzige Überbleibsel. Im ehemaligen Wohnzimmer von Werner (Foto) und Jakob steht heute der Tresen. Foto: Raufeld/Margarethe Neubauer
Viel erinnert in der Neuköllner Erdgeschosswohnung nicht mehr an die einstige WG. Die Landschaftsaufnahme aus den Südtiroler Alpen ist, neben einem dekorativen Plastikzebra über der Tür, das einzige Überbleibsel. Im ehemaligen Wohnzimmer von Werner (Foto) und Jakob steht heute der Tresen. Foto: Raufeld/Margarethe Neubauer

Was ihr sonst noch wissen müsst:

Runde Sache: Neun Stück verspeiste der aktuelle Rekordhalter im Knödel-Futtern. Zur Orientierung – in der Karte wird Gästen mit „Bärenhunger“ das Bestellen von fünf Knödeln empfohlen.

Traute Zweisamkeit: Werner schwört auf das Leben in einer Zweier-WG, weil man alles so unkompliziert organisieren kann. Wieder zu siebt in einer Riesen-WG wohnen? Bloß nicht!

Der Kassenschlager: Besonders beliebt ist, was auf der Nachtischkarte steht. Der süße Kastanienknödel ist Werners und Christians Eigenkreation. Ein geschmackliches Experiment und definitv der Publikumsliebling.

Einfach machen. So lautet Werners Lebensmotto. Als er nach Berlin kam, hatte er keinen blassen Schimmer, was er hier überhaupt anstellen wollte. Dafür ist ihm sein Start in der Hauptstadt aber wirklich beeindruckend gut geglückt.

Do it yourself! Noch immer kümmern sich Werner und Christian im Restaurant um alles selbst: Kochen, Putzen, Servieren, Finanzen und ein stets aktueller Facebook-Account. Anfangs kamen manchmal nur zwei Gäste und jeder eingenommene Cent wurde gleich wieder investiert. Deshalb ist vieles in der Knödelwirtschaft selbstgemacht.

Margarethe Neubauer, 21 Jahre, wird in Zukunft sicher des Öfteren auf einen Löwenzahnknödel bei Werner vorbeischauen

Das könnte Dich auch interessieren

Kategorien Fotoserie Lifestyle Schule & Zukunft Uni & Ausbildung Zwischendurch

Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.