Hast du einen Stift? Viele Flüchtlingskinder freuen sich, endlich mit ganz normalen Schülersorgen konfrontiert zu sein. Credit: dpa/Britta Pedersen

Alle meine Freunde in Syrien sind tot

In Berliner Willkommensklassen stößt man auf bewegende Geschichten.

Die sieben Schüler der Willkommens-klasse des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums sitzen aufrecht da und beobachten aufmerksam, wie ihre Lehrerin Frau Koch Schokoladenweihnachtsmänner auf jeden Tisch stellt. Alle schweigen und sehen sich verwirrt um, als die Lehrerin wissen will, was in Deutschland am 6. Dezember gefeiert wird. Erst als die Frage auf Englisch wiederholt wird, antwortet ein blondes Mädchen mit einer tiefen Stimme.

Kurze Zeit später schickt Frau Koch ebendieses Mädchen und einen Jungen namens Marwam zu uns nach draußen. Marwam trägt eine schwarze Hose, ein weißes Oberteil und eine Lederjacke. Er sieht schüchtern aus, gleichzeitig strahlt er eine gewaltige innere Stärke aus. Das Mädchen heißt Vanessa und trägt hellblaue Leggings mit passender Strickjacke.

Hast du einen Stift? Viele Flüchtlingskinder freuen sich, endlich mit ganz normalen Schülersorgen konfrontiert zu sein. Credit: dpa/Britta Pedersen
Hast du einen Stift? Viele Flüchtlingskinder freuen sich, endlich mit ganz normalen Schülersorgen konfrontiert zu sein. Credit: dpa/Britta Pedersen

Beide folgen uns zur Cafeteria und setzen sich an einen der vier-eckigen Holztische. Marwam fängt schließlich an, seine Geschichte zu erzählen: „Vor drei Monaten sind meine Geschwister und ich aus Deir ez-Zor in Syrien geflohen. Meine Eltern blieben zurück.“ In Deutschland will er studieren und so bessere Chancen für die Zukunft haben. Als er von der 18-stündigen Fahrt über den Ozean erzählt und davon, dass all seine Freunde aus Syrien tot sind, gerät er ein paarmal ins Stocken. Die aufrechte Haltung vom Anfang hat er verloren, er wirkt jetzt traurig und zerstreut. Bei der nächsten Frage zögert er, denn eine kleine Traube von Schülern läuft lärmend an unserem Tisch vorbei. Erst als sie um die Ecke biegen und langsam wieder Ruhe einkehrt, antwortet Marwam. „Woher ich so gut Englisch kann? Das hat mir mein Bruder beigebracht, und der kann das aus englischen Rap-Texten.“ Für ihn ist es selbst-verständlich, Englisch nicht in der Schule zu lernen, sondern aus Liedern, die man hört. Auf die Frage, welchen Unterschied er zwischen Syrien und Deutschland sieht, antwortet er ohne zu zögern: „Alles ist anders.“

Als sich die beiden verabschieden und zum Klassenraum zurücklaufen, hängen Marwams letzter Satz noch immer in der Luft. Erst das Läuten der Pausenglocke lässt einen in die Realität zurückkommen. Immer mehr Schüler strömen auf den Gang. Während der Geräuschpegel zunehmend ansteigt, sieht man Marwams und Vanessas Silhouetten langsam in den Schülermassen verschwinden.

Von Valentina Horvat, Klasse 10 D, Bertha-von-Suttner-Gymnasium

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