Mama, ich habe eine Frau gefunden

Geflohene berichten vom Leben in der Notunterkunft.

Von Schülern der Klasse 10e des Bertha-von-Suttner Gymnasium

Eine graue Turnhalle ragt bedrohlich zwischen den kleinen Häuschen der Wackenbergstraße auf. Der Himmel zieht sich mit Wolken zu und als einziges Geräusch ist ein Auto zu hören, das auf dem verwaist wirkenden Sträßchen vorbeifährt. Die Turnhalle verrät sich durch nichts, kein Schild und keine Klingel weisen darauf hin, dass hinter ihren Mauern Menschen aus dem Nahen Osten ein zeitweiliges Zuhause gefunden haben. Denn diese, auf den ersten Blick wie ein Gefängnis scheinende, Halle ist umfunktioniert worden zu einer Notunterkunft für Geflohene. Erste Zweifel werden auch nach Betreten des Gebäudes nicht weggewischt. Typischer Turnhallengeruch nach Schweiß und Verzweiflung bleibt aus, stattdessen ist es kühl. Das Sicherheitspersonal, mit neongelben Westen und Funkgeräten ausgestattet, schaut skeptisch. Auch ein paar der Flüchtlinge schauen neugierig in den spärlich möblierten Vorraum hinein, indem nur ein paar Holzbänke stehen, dankbar für jede Abwechslung. In der zum Büro umfunktionierten Lehrerumkleide sitzt der zuständige Leiter, ein junger Mann Anfang 30, unter flackernden Neonröhren am Telefon. Er möchte den Grund des Kommens wissen und verlangt mit schon fast genervt wirkendem Tonfall nach offiziellen Papieren oder Unterlagen. Mit leicht spöttischem Gesicht fragt er, ob einer im Raum Arabisch spreche. Glücklicherweise kommt in diesem Moment Jana in den Raum. Sie ist klein, hat lange, glatte schwarze Haare und spricht mit einem leichten Akzent. Ihre stark geschminkten Augen schauen lebhaft umher und mit ihrer Leggins und dem Minnie-Maus-T-shirt passt sie perfekt zum improvisiert wirkenden Ambiente. Jana stellt sich in einer charmanten, lustigen Art vor und scheint das genaue Gegenteil des Mannes hinter dem schäbigen Schreibtisch zu sein. Sie erzählt in lockerem Tonfall über ihre Arbeit hier und vor allem über das Leben der Flüchtlinge. Dann geht sie los, um Flüchtlinge für das Interview zu finden. In der großen Sporthalle stehen hunderte von weißen Doppelstockbetten, mit weißen Laken umspannt als Versuch, ein bisschen Privatsphäre zu schaffen. Auch hier ist es kühl und auf dem Boden liegen Platten, um den Heizboden zu schützen. Ein paar dunkelhaarige junge Männer spielen Fußball in Jogginghosen. Vier kleine Mädchen im Grundschulalter kommen neugierig angerannt, um den Besuch zu begrüßen. Jedoch als Jana, die als Dolmetscherin fungiert, den Männern erklärt, worum es geht, werden die Mädchen mit wedelnden Händen weggescheucht. In der Halle herrscht eine fast schon familiäre Atmosphäre, man könnte – die Umstände außer Acht lassend – fast denken, die ganze Versammlung sei eine Art Familienfeier, so vertraut gehen alle miteinander um, inklusive Jana.

Der erste Flüchtling, der für ein Interview bereitsteht, ist ein etwa 1,70 m großer Mann mit kurzem schwarzen Haar, einer blauen Jogginghose und abgetretenen Schuhen. Unter den wachsamen und neugierigen Augen der Anderen übersetzt Jana ihm die Fragen auf Arabisch, die ihr auf Deutsch gestellt werden. Seit drei Monaten sei er in Deutschland, sagt er. Der diplomierte Maschinenbauer erzählt, dass er aus politischen Gründen aus Ägypten über Griechenland nach Deutschland gekommen sei, wo er – wenn möglich – bleiben wolle. Mit hoffnungsfrohem Blick beantwortet er alle Fragen. Er sei Deutschland dankbar, dass er hier sein dürfe und das Deutschland so viel helfe. Außerdem fände er die deutschen Frauen schön, auch uns.

Wieder scheuchen die Großen die Mädchen weg, die es sich inzwischen auf den Sofalehnen gemütlich gemacht haben und sich auf Arabisch darüber unterhalten, wer die hübscheste ist. Danach holt Jana ein Mädchen für das nächste Interview. Scheu versteckt sie sich hinter ihrem großen Bruder. Auf die Frage, ob sie wirklich reden wolle, antwortet Jana selbst: „Natürlich“. Schließlich sei sie die größte „Quatschbacke“ in der ganzen Unterkunft. Im Laufe des Gesprächs taut sie tatsächlich auf und redet schließlich, was das Zeug hält. Zwölfeinhalb Jahre alt sei sie, darauf legt sie Wert, und seit etwa 2,5 Monaten in Deutschland. Wie die meisten hier ist sie mit ihrer Mutter und ihren zwei Brüdern über die Türkei, nach Griechenland und dann über Serbien über den Balkan hergekommen. Die eine Sache, die sie sich für die Zukunft wünscht: „In die Schule gehen“, kommt prompt und ohne langes Überlegen. Es wäre das erste Mal für das zierliche Mädchen mit dem dichten dunklen Haar und dem Pulli mit dem Affenaufdruck. In Syrien konnte sie nicht zum Unterricht wegen des Krieges, hier in Deutschland liegt es eigentlich immer noch am syrischen Krieg. Als Letztes sagt sie, dass, obwohl ihr die deutsche Gesellschaft gefalle, sie Syrien vermisse. Von den anschließenden Fotos, die aus Sicherheitsgründen draußen auf dem nassen Hof gemacht werden müssen, sind alle begeistert. Sie drängen sich zusammen, damit alle Anwesenden auf das Bild passen. „Sie sagen: Das schicke ich meiner Mutter und sage: Mama, ich habe eine Frau gefunden.“ übersetzt Jana lachend. Die Wolken haben sich verzogen und die Sonne scheint auf die nun viel fröhlicher wirkende Notunterkunft in der Wackenbergstraße.

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Kategorien Aktuelle Beiträge

Hier erscheinen Beiträge von Schülerinnen und Schülern der 3. bis 12. Klassen aller Schulformen aus Berlin. Sie nehmen am Medienprojekt „Spreewild“ der Berliner Zeitung teil. Politisches Geschehen, Kultur und Alltag, Bildung und Zukunft, mit all diesen Themen beschäftigen sie sich, wie ihre Beiträge zeigen.